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Sturmkönige 01 - Dschinnland

Sturmkönige 01 - Dschinnland

Titel: Sturmkönige 01 - Dschinnland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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tobte durch Pulks aus schwarzen Punkten, die wie Hornissen um die Hängende Stadt wirbelten und versuchten, die Angreifer abzuwehren.
    Tarik ließ den Teppich über dem Staubnebel kreisen, rund um den schrundigen Trümmergipfel. Er war unschlüssig, was sie jetzt tun sollten. Nach oben konnten sie auf gar keinen Fall; inmitten der Schlacht hatten sie keine Chance, den Ausgang zu erreichen. Und wie lange mochte es dauern, ehe die ersten Dschinne in die Tiefe herabstießen, um die Ruine des Rochnestes zu untersuchen? Wenn ihn seine Orientierung nicht trog – und ganz sicher konnte er inmitten des Dunstes und des Feuerscheins nicht sein –, dann gehörten die Trümmer dort unten zur Hängenden Stadt des Narbennarren.
    Sabatea hatte den gleichen Gedanken. »Ich hoffe nur, er war dort drinnen«, sagte sie verächtlich, ihre Stimme derart angegriffen von dem beißenden Staub, dass der Satz in heftigem Husten endete. Tarik gab keine Antwort. Er hatte etwas entdeckt, eine Bewegung unterhalb der Trümmerkuppe, wo der Staubnebel endete und die bizarren Strukturen der Bruchstücke sichtbar wurden.
    Vielleicht nur eine Täuschung. Ein Streich, den ihm die wogenden Schmutzwolken spielten. Oder seine Einbildungskraft.
    Aber dort regte sich tatsächlich Leben unter den grauschwarzen Scherben des Rochnestes, so, als grabe sich etwas daraus hervor, nur wenige Meter unterhalb des Gipfels. Einer der Felsenfresser, womöglich.
    Insgeheim aber ahnte er die Wahrheit.
    In einem Spalt erschien etwas Helles, Runzeliges, Nacktes. Es hatte keine Ähnlichkeit mit einem der Ungetüme aus den Tunneln.
    Tarik verleugnete, was er mit eigenen Augen sah – bis Sabateas Stimme ihn zurück in die Wirklichkeit riss und er keine andere Wahl mehr hatte, als das Offensichtliche zu akzeptieren.
    »Ist er das?«, stieß sie keuchend hervor.
    Die Gewissheit war beinahe schmerzhaft und erfüllte ihn mit solchem Zorn, dass er für einen Augenblick Angst vor sich selbst bekam.
    Er wusste, was er zu tun hatte.
    Sabatea widersprach nicht, als er den Teppich im Steilflug nach unten lenkte.
    Genau auf den Gipfel zu.
    Auf das, was darunter hervorkroch.

 
Das fremde Auge
 
 
    Tarik landete den Teppich auf einem gewölbten Trümmerstück, groß wie das Zwiebeldach eines Palastturmes. Die Überreste hatten sich dicht ineinander verkeilt, aber da war noch immer Bewegung in diesem ungeheueren Scherbenhaufen. Ein dumpfes Grollen und Donnern stieg aus den Trümmern der Hängenden Stadt empor. Unter den Staubwolken rumorte es ohne Unterlass. Die Feuer brannten sich mit verzehrender Wut vom Grottenboden durch die geborstenen Ruinen nach oben, schufen Hohlräume, in die von oben höhere Schichten nachsackten und den Flammen neue Nahrung gaben. Tariks Befürchtung, dass die Brände bald auf weite Teile des zerstörten Rochnestes übergreifen könnten, bewahrheitete sich schneller, als er für möglich gehalten hatte. Er konnte die Hitze bereits spüren, selbst hier oben auf dem einsamen Trümmergipfel, der schief und verzweigt wie eine abgeknickte Kiefernspitze aus den Staubschwaden ragte.
    Amaryllis musste sich durch die Schneisen und Spalten des verschachtelten Berges gewunden haben wie eine Schlange. Seinem Anblick nach zu urteilen, hatte er sich durch die absurdesten Winkel gezwängt, seinen gestohlenen Leib verdreht und verbogen, ohne Rücksicht auf die natürlichen Grenzen und Gelenke eines menschlichen Körpers. Er hatte einen Preis dafür gezahlt: Scharfkantige Trümmerteile hatten ihn verstümmelt und fast bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Das, was da vor Tarik und Sabatea ins Halblicht des gedämpften Feuerscheins kroch, unter der steilen Trümmerspitze, aber oberhalb der Staubwolken, war kaum mehr als ein Torso. Auf seinem Weg nach oben hatte Amaryllis beide Beine eingebüßt und den größten Teil des linken Arms. Sein zusammengeflickter Schädel wirkte verformt, ohne dass Tarik hätte sagen können, was genau daran falsch war; womöglich war er unter den Trümmermassen eingequetscht worden.
    Nichts von all dem hatte den Dschinnfürst töten können. Der geraubte Menschenkörper war immer nur ein Werkzeug gewesen, eine makabere Verkleidung. Offenbar war noch genug davon vorhanden, um seinem Geist Unterschlupf zu bieten.
    Er lag auf dem Bauch, die Hand um die scharfe Kante einer Nestscherbe gekrallt. Röchelnd brachte er es fertig, das vernarbte Gesicht auf den Rücken zu drehen. Mit seinem einen Auge, jetzt blutunterlaufen und trüb, starrte er Tarik

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