Sturmkönige 01 - Dschinnland
brüllte Sabatea – und stieß die Hand ins Muster.
Diesmal war es kein gemeinsames Drängen in eine Richtung, kein koordiniertes Lenken zweier Reiter. Diesmal war es ein Kampf um die Kontrolle über den Teppich. Ein Zerren zugleich nach oben und nach unten. Ein Kräftemessen, das sie nur beide verlieren konnten, weil der Teppich noch immer geschwächt war und auf widerstreitende Befehle mit völliger Verweigerung reagieren würde.
Am Himmel über Samarkand hatte Sabatea schon einmal versucht, die Kontrolle an sich zu reißen. Damals hatte Tarik erwogen, sie kurzerhand in die Tiefe zu stoßen.
Der Teppich sträubte sich, erbebte.
»Früher hätte ich dich dafür umgebracht«, knurrte er.
»Ich dachte schon, das würdest du nie sagen.«
»Was?«
»Dass du mich liebst.«
»Ich hab gesagt, ich könnte dich um-«
»Das ist dasselbe.« Sie lachte, heiter und bitter zugleich. »Du weißt es nur noch nicht.«
Sein Starrsinn, seine Verzweiflung, sein verdammter Trotz und all das elende Selbstmitleid – das alles sackte wie Eiswasser an ihm hinunter, floss einfach aus ihm hinaus. Mit einem letzten Blick in das Chaos über ihnen gab er nach. »Gut«, sagte er. »Verschwinden wir.«
Augenblicklich zog sie die Hand aus dem Muster und überließ ihm wieder die Steuerung. Mit einem Blick über die Schulter sah er in ihre weißgrauen Augen, erwartete Spott und fand doch keinen. Es war gar nicht nötig, dass sie das Muster kontrollierte – stattdessen lenkte sie ihn. Diesmal ließ er es freiwillig geschehen. Zum ersten Mal fühlte es sich nicht an wie eine Niederlage.
Er riss den Teppich herum und jagte ihn wieder abwärts, in die Richtung, in der er den brennenden Dschinn in dem Felsschacht hatte verschwinden sehen.
Unter ihnen drang tollwütiges Kreischen und Gebrüll aus den äußeren Pferchen. Überall waren Finsternis und Rauch. Niemand kümmerte sich um die Eingesperrten dort unten. Die Sturmreiter hatten die Kuppeln im Zentrum der Höhle geräumt, aber sie verschwendeten keine Zeit an jene Gefangenen, die nicht mehr zu retten waren. Tarik war froh, dass er diese Menschen – oder das, was aus ihnen geworden war – nicht deutlich sehen konnte.
»Dort ist es!«
Vor ihnen, kaum zu erkennen im Halblicht der fernen Scheiterhaufen, klaffte ein schwarzes Rund in der Felswand, mindestens zehn mal zehn Meter breit.
»Da sind noch mehr!«, stieß Sabatea aus.
Die Öffnungen waren willkürlich über das Gestein verteilt, wie Holzwurmlöcher in einem Dachbalken. Unmöglich zu sagen, in welche davon der lodernde Dschinn geflogen war. Es spielte auch keine Rolle, eine war so gut wie die andere. Jede konnte zu einem Ausgang aus dem Berg führen – oder aber noch tiefer in ihn hinein.
»Wir werden da drinnen Licht brauchen«, rief er über die Schulter. »Wir müssen noch mal zurück zu den Feuern.«
Sabatea widersprach nicht, als er einen Haken flog. Um sie herum regnete es weitere Dschinnkadaver vom Schlachtfeld unter der Höhlendecke. Falls einer sie traf, waren sie verloren.
Tarik landete widerstrebend neben dem erstbesten Feuer. Tote Dschinne lagen zwischen den Pferchen, einige standen in Flammen. Auch menschliche Leichen waren zu sehen, hinter und vor den Gittern. Keine Wirbelstürme mehr. Die Evakuierung der Gefangenen war beendet. Ein entsetzlicher Gestank nach verbranntem Fleisch und Haar hing in der heißen Luft.
Sabatea sprang vom Teppich, eher er sie aufhalten konnte. »Lass die Hand im Muster!«
Nach kurzer Suche zerrte sie einen lodernden Scheit vom Rand des Feuers. Im Näherkommen sah er, dass es eine brennende Dschinnkeule war. Dann kauerte sie schon wieder hinter ihm, hielt die Fackel seitlich von ihnen weg und legte den linken Arm um seinen Oberkörper.
»Los!«, rief sie.
Der Teppich hob ab. Tarik lenkte ihn steil nach oben, über die Pferche und die Finsternis am Rand des Höhlenbodens hinweg, erneut auf eine der Öffnungen zu.
»Schneller!«, schrie sie plötzlich.
»Was ist?«
»Über uns!«
Er blickte nach oben.
Der Höhlenhimmel aus Qualm und Kampfgetümmel hatte sich aufgetan. Aus der Finsternis darüber, aus dem brodelnden Chaos der Grottendecke, stürzte ihnen etwas entgegen. Etwas so unfassbar Großes, dass er im ersten Augenblick glaubte, der Berg selbst bräche auseinander.
Aber es war nicht der Berg.
Es war eine der Hängenden Städte.
Der Tunnel
Der Lärm war so infernalisch, dass er beinahe zu Stille wurde. Es gab keine Referenzen, nichts, an dem man dieses
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