Sturmkönige 03 - Glutsand
zweiten Körper unten an ihrem Fuß, hingeworfen und reglos – Atalis’ Leichnam, die Tochter des Magiers, jetzt die untote Sklavin Qatums.
Und Sabatea begriff, dass Qatum besiegt war, denn die Säule des kreisenden Wirbels stand auf ihr, in ihr, tanzte in ihren Überresten und verstreute sie im nächsten Augenblick in alle Richtungen, pulversiert zu einem Nebel aus Honig und winzigen Partikeln, auseinandergeblasen vom Inferno des Sturms, der nichts an Gewalt verloren hatte und nur auf einen Punkt konzentriert war, einen Punkt, der im einen Moment Qatum war – vom Ifrit im Leibe Atalis’ gebannt –, im nächsten nichts mehr, nur Honigstaub, dann Leere.
Die Sturmsäule setzte sich in Bewegung, raste auf die gegenüberliegende Seite des Trümmerplatzes zu, auf den Thron und die zusammengesunkene Gestalt darauf. Zog einen engen Kreis um das Stufenpodest, streifte die drei verbliebenen Roch und zerschnitt sie wie eine scharfe Klinge.
Und da war noch jemand.
Ein einzelner Dschinn schlingerte in niedrigem Flug über den Platz hinweg, von dort, wo Sabatea jetzt die leblose Maryam entdeckte – nur ein unscheinbarer Dschinnkrieger mit wehendem Menschenskalp am Hinterkopf, unbewaffnet, übersät von tödlichen Wunden und dennoch wieder am Leben.
Ein Dschinn, der sich dem Thron und Tarik näherte.
Im selben Augenblick vollendete der Wirbelsturm seine Kreisbahn um den Knochenthron, sank in sich zusammen und setzte den weißhäutigen Jungen sanft am Boden ab.
Jibril betrat die Thronplattform. Blickte hinauf zu seinem Ebenbild in der Rückenlehne, dann auf den zusammengesunkenen Tarik. Schließlich über die Schulter auf den einsamen Dschinn.
Die Haut des Jungen schien zu erglühen, wurde selbst zu Licht und explodierte in einer Eruption aus blendender Helligkeit. Aus schneeweißer Glut formten sich schlängelnde Tentakel. Einer griff nach Tarik, legte sich sanft um seinen Körper. Ein zweiter Fangarm schoss vor, raste wie eine flirrende Lanze auf den Dschinn zu, packte ihn trotz seiner panischen Ausweichmanöver und verbrannte ihn im gleißenden Licht wie eine Fliege.
Von einem Augenblick zum nächsten floss die Geschichte dieses Jungen, dieser beiden Jungen in Tariks Verstand, flutete über seine eigene hinweg, als hätte sie nie stattgefunden, als wäre seine Vergangenheit ausgelöscht und ersetzt von dem, was Jibril erlebt und durchlitten hatte, all die Jahre lang. Der erste Jibril auf dem Thron und der zweite inmitten der glühenden Fangarme.
Tarik saß da und sah Bilder aus einer anderen Welt und auch aus dieser, sah einen Mann und eine Frau in farbigen Gewändern, sah sie unter Aufbietung aller Kräfte etwas tun, das die Zukunft von Millionen Menschen verändern sollte. Sah eine Flasche auf einem Tisch, rund und bauchig und aus schwarzem Stein, daneben einen Korken und Pech, und er sah Tränen und Schweiß, sah Gesichter, verzerrt von Leid und Furcht und Ungewissheit. Sah ein Kind, einen weißhäutigen Jungen ohne Haar.
Er sah die Geschichte von Ajouz und Nasmat.
Und die ihres Sohnes Jibril.
Erfüllung
Sabatea hatte die Hälfte des gläsernen Platzes überquert, als sie sah, wie einer der Lichttentakel Tarik vom Knochenthron hob und am Fuß des Stufenpodestes ablegte. Die Helligkeit des wirbelnden Nests aus Fangarmen spiegelte sich auf seinem schweißnassen Körper, überlagerte seine zahllosen Wunden und ließ ihn so makellos weiß erscheinen wie den Jungen im Herzen des Tentakelgewirrs – und wie dessen Doppelgänger, der reglos in der Knochenwand der Thronlehne hing, festgeflochten zwischen Gebeinen von Menschen, Tieren und Ungeheuern des Dschinnlands.
Im Hintergrund, weiter im Süden, entfernte sich die riesenhafte Glasscholle mit majestätischer Langsamkeit, umschwirrt von den geflohenen Dschinnen, vernichtet bis auf einige Dutzend, die es nicht mehr wagten, den Sturmkönig anzugreifen. Da waren auch Schwarmschrecken unter ihnen, die zu viele ihrer Artgenossen hatten sterben sehen, um jetzt noch den Befehlen der Dschinne zu gehorchen und sich erneut für sie in den Kampf zu stürzen. Die verbliebenen Kettenmagier hielten mit ihrer Macht die Scholle in der Luft, und falls sich dort oben noch ein Dschinnfürst aufhielt, so fehlte auch ihm der Mut oder die Entschlossenheit, den größten aller Stürme anzugreifen.
Aber all das registrierte Sabatea nur am Rande, und es berührte sie nicht mehr als eine Kulisse in einem Puppenspiel, eine bemalte Leinwand, die nicht in derselben
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