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Sturmkönige 03 - Glutsand

Sturmkönige 03 - Glutsand

Titel: Sturmkönige 03 - Glutsand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Welt wie die Figuren im Vordergrund existierte, flach und bedeutungslos, während sich auf der Bühne das wahre Drama abspielte.
    Im Laufen rief sie Tariks Namen, aber dann verdeckten die glühenden Fangarme ihre Sicht auf ihn, und sie sah nicht mehr, ob er sie hören konnte, irgendwie reagierte, oder ob sie ihn endgültig verloren hatte. Der Gedanke trieb sie vorwärts und wollte sie zugleich lähmen, das Atmen fiel ihr schwer, ihr Blick verschleierte sich. Aber sie rannte nur noch schneller, von brennendem Schmerz und Panik erfüllt.
    Mehrere Lichttentakel schlängelten sich in ihre Richtung, zwangen sie zwanzig Meter vor dem Thron zum Stehenbleiben, betasteten sie mit heißen, züngelnden Enden. Alle bis auf einen zogen sich wieder zurück, aber dieser Einzelne hielt sie auf Abstand, stieß sie zurück, wenn sie einen weiteren Schritt nach vorn machen wollte, bis sie rasend war vor Wut und Hilflosigkeit und ihre Gefühle als verzweifelter Schrei aus ihr hervorbrachen.
    Tarik bewegte sich. Sie konnte ihn wieder sehen, weil jetzt ein Großteil der Fangarme von dem Jungen am Boden steil hinauf zu seinem Ebenbild in der Knochenlehne wanderte. Der eine Jibril erforschte den anderen, strich über seinen gefangenen Leib hinweg, suchte vielleicht nach Leben oder Antworten oder nach einem Schlüssel zu jener Macht, die dort oben gebündelt war, Hunderte, vielleicht Tausende von unerfüllten Wünschen, die zu einem einzigen verschmolzen waren.
    Mit einem weiteren Aufschrei wich sie dem Tentakel aus, tauchte darunter hinweg und rannte los, kümmerte sich nicht mehr um die schlangengleiche Bewegung an ihrer Seite, lief einfach immer weiter. Wenn er sie aufhalten wollte, dann würde er es mit Gewalt tun müssen, aber auch dann würde sie sich noch wehren, würde kämpfen, bis sie Tarik endlich erreichte. Und wenn sie ihn auch nicht berühren konnte mit ihren blutigen Händen, so wollte sie doch, dass er ihre Stimme hörte und wusste, dass sie bei ihm war, immer bei ihm bleiben würde, ganz gleich, was in den nächsten Augenblicken hier geschehen sollte und was aus ihnen und der Welt werden würde, wenn die Macht des Dritten Wunschs erst freigesetzt war.
    Die Spitze des Lichttentakels blieb ganz nahe bei ihr, folgte ihr, packte aber nicht zu. Jibril ließ zu, dass sie neben Tarik in die Hocke sank, ungeachtet der Glassplitter, die dabei in ihre Knie schnitten, und dass sie auf ihn einredete und dabei weinte vor Erleichterung und Schmerz und hemmungslosem Bangen, als er die Augen öffnete und sie ansah und Worte stöhnte, die wie Namen klangen.
    Ajouz und Nasmat und Jibril.
    Neben ihr flammte es weißglühend auf. Als sie den Kopf herumriss, sah sie, dass die Tentakel verschwunden waren und dort, keine drei Schritt entfernt, nur noch der bleiche Junge stand, übersät von Schnitten und nässenden Stellen, die wie Brandwunden aussahen.
    »Ich weiß, wer ihr seid«, sagte er.
    »Kannst du ihm helfen?«
    »Nicht jetzt.« Der Junge löste seinen Blick von Tarik und ihr und machte die letzten Schritte zum Thron.
    Er war zu klein und musste auf die Sitzfläche klettern, an den Knochen hinauf, über die Kante hinweg, als der aufgespießte Roch eine Mannslänge über ihm zum Leben erwachte.
    »Amaryllis!«, keuchte Tarik.
    Der Vogelmensch bebte am ganzen Leib. Er hing auf der Rückenlehne des Throns, nicht weit von dem eingeflochtenen Jungen entfernt, begann jetzt zu zappeln und mit den gebrochenen Flügeln zu schlagen. Mehrere Gebeinspitzen – Teile von Rippenkäfigen und zerbrochene Knochenspeichen – hatten ihn von hinten durchbohrt und ragten aus seinem Oberkörper. Er versuchte, sich mit den Armen nach vorn zu stoßen, und machte unbeholfene, hektische Bewegungen mit den gefiederten Schwingen. Erst jetzt erkannte Sabatea, dass es die Flügel von Elfenbeinrössern waren, die der Roch statt seiner verkümmerten eigenen auf dem Rücken trug, mit seinem dürren Leib verwachsen durch Magie, und zugleich erkannte sie zumindest einen Zweck, den die Experimente der Dschinne mit den Zauberpferden gehabt hatten. Die vier Rochmagier hatten durch sie die Flugkraft ihrer Vorfahren wiedererlangt; vermutlich war das der Preis gewesen, den die Dschinnfürsten für ihre Dienste hatten zahlen müssen.
    Noch während sie dies dachte, in Anflügen von blitzartigem Begreifen, die wie Schlaglichter durch ihren Verstand flackerten, zwängte der Roch mit Gewalt seine Schwingen zwischen sich und das Knochengewirr der Thronlehne und versuchte, sich nach

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