Sturmkönige 03 - Glutsand
außer Zweifel. Selbst Khalis musste das erkennen.
Trotzdem sagte er in einem Tonfall, der lauernd klingen sollte, tatsächlich aber vor Sorge und Wut vibrierte: »Und eure kostbare Maryam? Willst du sie mit Atalis in die Tiefe stürzen?«
»Maryam bedeutet mir nichts!«, gab die Diebin verächtlich zurück. Was den Umgang mit fremdem Eigentum anging, war sie wieder ganz in ihrem Element. »Als sie noch gelebt hat, hab ich sie nicht gemocht, und heute werd ich ganz bestimmt nicht damit anfangen.«
Khalis mochte spüren, dass es ihr ernst war. Die Angst um seine tote Tochter war ihm deutlich anzusehen. Ebenso sein rasender Zorn.
Hinter einer Glaskuppe stemmte sich Nachtgesicht auf die Beine. Tarik sah seinen Schädel hinter dem schimmernden Kamm auftauchen. Er hatte eine Platzwunde an der Stirn, hielt sich aber auf den Beinen.
Irgendwo im Nebel erklang ein durchdringendes Brüllen. Einen Augenblick lang schienen alle anderen Geräusche zu verstummen. Tarik hörte nur noch seinen eigenen Herzschlag und die unheimlichen Laute im Dunst.
Es war Ifranji, die das Schweigen brach. »Nicht – näher – kommen!«, fauchte sie. Khalis hatte den Augenblick nutzen wollen, um hinüber zum Teppich zu schweben.
Jetzt erstarrte er wieder in der Luft, als Ifranji eine gefährliche Welle durch das Knüpfwerk wandern ließ. Der Honigschrein geriet ins Schwanken, stand aber gleich wieder ruhig.
»Tu, was sie sagt«, ächzte ihr Bruder.
Der Magier ignorierte ihn.
Nachtgesicht hatte mit einer Hand die weiten Lederriemen umfasst, die um seinen Hals baumelten, als wollte er damit seine Götter um Beistand bitten. Als er sah, dass Khalis nicht auf ihn hörte, wandte er sich an Ifranji. »Pass auf!«, brüllte er. »Nicht über den Rand!«
Sie schaute sich hektisch um, erkannte, dass sie der Kante der Brücke gefährlich nahe gekommen war, und ließ den Teppich eine wackelige Kurve fliegen. Dabei stieg sie höher, zehn, dann zwanzig Meter über das Glas.
Khalis riss beide Arme hoch, spreizte beschwörend die Hände.
Nachtgesicht erstarrte. Ein Zittern lief durch seinen Körper. Tarik glaubte erst, es habe mit dem zu tun, was Khalis tat. Aber dann begriff er, dass es einen anderen Grund haben musste, denn der Zauber, den der Magier wirkte, richtete sich allein gegen Ifranji.
Zwischen Khalis’ Händen entstand ein Flimmern, das Tarik fatal an den Hitzezauber des Kettenmagiers erinnerte, beim Kampf über der Dornenkrone. Es konnte keine gleichermaßen mächtige Magie sein, weil Khalis sonst Gefahr lief, den Schrein und seine Tochter ebenfalls zu vernichten. Aber sie mochte ausreichen, um Ifranji zu töten.
Nachtgesicht erbebte von Kopf bis Fuß. Wie in Trance begann er, den Lederschmuck zu entwirren und über seinen Kopf zu ziehen. Es handelte sich nicht um mehrere Riemen, wie Tarik geglaubt hatte, sondern nur um einen einzigen, den er in mehrere Schlaufen übereinandergelegt hatte.
Im selben Augenblick ging der Byzantiner erneut zum Angriff über.
Almariks Schwert stieß vor und verfehlte ihn nur um einen Fingerbreit. Tarik sprang zur Seite, prellte die gegnerische Klinge mit seiner eigenen fort und setzte nach. Diesmal lief der Ifritjäger fast in Tariks Waffe. Sein Kettenhemd lenkte die Spitze ab, aber die Kraft des Stoßes rammte wie ein Hammer in seine Rippen. Tarik hörte etwas knirschen, nicht sicher, ob es Almariks Knochen waren, wartete auch nicht auf die Reaktion seines Gegners, sondern griff abermals an. Mit der Schulter stieß er Almarik zu Boden, wo er mit Hüfte und Schulter aufschlug und das Glas mit dem Blut aus seinen Fingerwunden besudelte.
»Nicht bewegen«, knurrte Tarik und legte die Schwertspitze unter das Kinn des Byzantiners. Almarik stöhnte etwas, hielt sich die Seite, machte aber keinen Versuch, der Klinge auszuweichen.
»Tu, was du tun musst«, flüsterte er.
Tarik zögerte, weil Khalis in diesem Augenblick einen wutschäumenden Ruf ausstieß und das kugelförmige Flirren über seinem Kopf mit beiden Händen in Ifranjis Richtung schleuderte.
Nachtgesicht stieß einen Warnruf aus. Das Lederband war aus seinen Händen verschwunden. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt und schaute steil nach oben.
Ifranji hatte den Teppich des Magiers noch höher aufsteigen lassen. Sie konnte seinem Angriff nicht nach rechts oder links ausweichen, nur weiter aufwärts fliegen, bis sie irgendwann an die unsichtbare Grenze von hundertfünfzig Metern über dem Scherbensteg stoßen würde.
Aber so weit kam sie
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