Sturms Flug
in die Hände.
Er tat, wie ihm geheißen.
Und es verschlug ihm die Sprache.
Bernd stand kurz davor, in Tränen auszubrechen. Wie ein Ertrinkender an einem Rettungsring, so klammerte er sich am Balkongeländer seines Hotelzimmers fest.
Übermorgen würde er nach Hause fliegen. Hanna war bereits vor zwei Tagen abgereist. Oder besser gesagt verschwunden, ohne ein Wort des Abschieds, ohne eine Nachricht zu hinterlassen, einfach abgehauen bei Nacht und Nebel. Das zerriss ihm fast die Seele.
Er schaute zum Nachbarbalkon hinüber, wo sie gestanden hatte, als er zum ersten Mal mit ihr ins Gespräch gekommen war. Sie hatte einen Bademantel getragen und eine Zigarette geraucht, während allmählich die Sonne untergegangen war.
In diesem Moment befand sich ebenfalls jemand auf dem Nachbarbalkon, doch dieser Jemand war eine längst verwelkte Frau, die nicht zu merken schien, dass ihre Jugend Vergangenheit war. Sie trug nur einen Bikini und ein Badetuch, das sie um die Hüften geschlungen hatte, dazu riesige Ohrringe und eine Designer-Brille, die an einer goldenen Kette um ihren Hals hing. Ihre Haut sah aus wie gegerbtes Leder, vermutlich als Folge intensiver Sonnenbankbesuche, und die langen Fingernägel waren grellrot lackiert. Gerade drapierte sie ihr Badetuch über eine Stuhllehne, damit es für den morgigen Tag am Pool trocknen konnte.
»’N Abend«, grüßte er unverbindlich.
Die Trulla warf ihm einen abfälligen Blick zu, sagte kein Wort und verschwand in Hannas Zimmer, wie er es im Geist immer noch nannte.
Am Tag nach der Safari hatte Hanna bereits sehr früh an seine Tür geklopft, irgendwann zwischen halb sieben und sieben Uhr morgens.
»Aufstehen, Schlafmütze!«, hatte sie auf dem Korridor gerufen, vermutlich sehr zur Freude der übrigen Gäste. »Liegen können wir noch lange genug, wenn wir tot sind.«
Seinen in der Nacht gefassten Entschluss, die Finger von ihr zu lassen und das Terrain für Robert Karohemd freizugeben, hatte er natürlich auf der Stelle verworfen. Also waren sie gemeinsam nach unten gegangen, um das Frühstück einzunehmen, sie hatten geplaudert und gescherzt und sich einen Schwips angetrunken, was Bernd normalerweise nie tat, schon gar nicht zum Frühstück. Doch Hanna hatte ihn mitgerissen und mit ihrer schieren Lebensfreude angesteckt, wobei sie ein untrügliches Gespür für die Grenzen des guten Geschmacks bewiesen hatte und trotz alkoholbedingter Heiterkeit niemals laut oder gar unangenehm geworden war. Schließlich waren sie vom Kellner, der den Tisch für das Mittagessen hatte eindecken wollen, hinauskomplimentiert worden.
Ab diesem Zeitpunkt waren sie unzertrennlich gewesen und hatten alles gemeinsam gemacht: lachen, Cocktails und Wein und sogar Dosenbier trinken, herumalbern, jeden Tag einen Ausflug unternehmen, über belangloses Zeug schwatzen ebenso wie tiefsinnige Gespräche führen. In einem Geschäft in Mombasa hatten sie eine simple Akustikgitarre erstanden und gemeinsam gesungen, während er die Saiten zupfte. Die umgestürzte Kokospalme am äußersten Ende der Hotelanlage, weit weg von den Tummelplätzen der anderen Gäste, war genau der richtige Platz dafür gewesen. Dort hatten sie sich in den Sand gehockt und an den Stamm gelehnt, um den Meerblick zu genießen. Und wenn spät abends eine kühle Brise aufgekommen war, hatte er ihr seine Sommerjacke über die Schultern gelegt und schließlich seinen Arm.
Am ersten Abend hatte sie das stoisch hingenommen, ohne eine Reaktion zu zeigen, doch dann hatte sie es offensichtlich genossen, war ganz dicht an ihn herangerückt, hatte ihren Kopf an seine Schulter gelehnt. Am folgenden Abend war es schon zu einer Art Ritual geworden.
Er schloss die Augen, wodurch unweigerlich die Erinnerung an ihren Duft geweckt wurde.
Doch mehr als Anlehnen war zwischen ihnen nicht gelaufen, kein darüber hinausgehender Körperkontakt und erst recht keine Intimitäten, abgesehen von einer einzigen, winzigen Ausnahme. Ansonsten war es jedes Mal das Gleiche gewesen: Immer, wenn er sich gewünscht hatte sie zu umarmen, zu streicheln oder zu küssen, hatte er letzten Endes Abstand davon genommen. Das war klug gewesen, da er gespürt hatte, dass er abgeblitzt wäre. Davon, sie ins Bett zu bekommen, war er zu jeder Sekunde kilometerweit entfernt gewesen. Doch irgendwie gefiel ihm das.
Was ihm kein bisschen gefiel, war, dass sie partout nicht bereit war, über eine Fortsetzung dieser wunderschönen Zweisamkeit zu sprechen. Oder gar das Geheimnis
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