Sturmsegel
versuchen zu schlafen, damit sie Kraft für ihren morgigen Dienstantritt hatte.
Anneke schloss also die Augen und wünschte sich, von Ingmar zu träumen. Und wenn nicht von ihm, dann von ihrem alten Leben in Stralsund.
Der Goldene Löffel
Juli 1628
Glockengeläut schreckte Anneke aus dem Schlaf. Der Geruch nach Staub und Moder stieg ihr in die Nase, von irgendwoher zog kühle Luft herein und strich über ihr Gesicht.
Als sie sich auf ihrem Strohsack herumdrehte und die tief hängenden, mit einigen Lichtsprenkeln bedeckten Balken über sich erblickte, schreckte sie hoch. Dabei durchzog ein stechender Schmerz ihre Schulter und holte die Erinnerung an die vergangene Nacht zurück. Und heute früh musste sie zum Dienst in der Schenke erscheinen.
Obwohl die Umgebung ungewohnt gewesen war und die Geräusche aus dem Schankraum und den Gästezimmern lange Zeit angehalten hatten, hatte sie tief und traumlos geschlafen.
Jetzt hieß es aufstehen, wenn sie ihre Anstellung nicht gleich wieder verlieren wollte.
Als sie sich vom Strohsack erheben wollte, polterten Schritte über den Gang. War das schon wieder der Wirt?
Sie rechnete damit, dass er wieder einfach so in ihre Kammer kommen würde, doch da hämmerte es gegen die Tür und eine Frauenstimme fragte: »Bist du wach?«
»Ja!«, antwortete Anneke und raffte sich die raue Decke, die auf dem Strohsack gelegen hatte, vor die Brust.
Gitta, die Schankmagd, trat ein. Anneke erkannte sie an ihrem Kleid wieder. Sie war vielleicht zehn oder fünfzehn Jahre älter als sie und verbarg ihr Haar unter einer Leinenhaube. Dennoch kringelten sich einige blonde Locken auf ihrer Stirn. Ihre Augen waren leuchtend blau und ihre Haut sehr hell.
In den Händen hielt sie eine Schüssel und einen Krug, die sie auf die Truhe neben dem Bett stellte. Unter ihrem Arm trug sie ein kleines Bündel, das sie ihr auf den Strohsack warf.
»Hier, Mädchen, wasch dich und zieh das an«, sagte sie auf Deutsch. »Das Kleid ist eins von meinen, Magnus sagt, dass du nur eines hast, das für die Arbeit untauglich ist.«
»Danke«, entgegnete Anneke und ließ ihren Blick kurz auf dem Kleid ruhen. Es war braun und sehr einfach, genau richtig für die Arbeit.
»Wenn du fertig bist, kommst du runter.« Damit wandte sich die Magd um und verschwand wieder.
Anneke wollte auf keinen Fall Ärger mit ihr, also sprang sie vom Strohsack herunter, wusch sich rasch und schlüpfte dann in ihr Kleid. Das mit dem meerblauen Band zusammengefasste Haar verbarg sie unter einer Haube.
Als sie herunterkam, war die Magd gerade dabei, Feuer zu machen.
Ein wenig erinnerte die Küche Anneke an das Haus ihres Vaters. Der Herd war ähnlich groß und in der Mitte des Raumes stand auch ein langer Tisch.
Kräutersträuße hingen an den Fenstern und in einer Ecke standen ein paar Fässer. Auf einem davon saß Tjorven. Er bearbeitete ein Stück Holz mit seinem Schnitzmesser. Was er da schnitzte, konnte Anneke nicht erkennen. Doch er war dermaßen in seine Tätigkeit versunken, dass er nicht mal aufblickte, als sie an ihm vorbei zur Feuerstelle ging.
Gitta beachtete den Jungen nicht weiter und gab ihm auch keine Aufträge. Stattdessen drückte sie Anneke einen Blasebalg in die Hand.
»Mach mal ein bisschen Wind, damit das Feuer brennen kann!«, sagte sie.
Anneke gehorchte, und es gelang ihr recht gut, die kleinen Flammenzungen, die auf dem Bruchholz tanzten, zum Wachsen zu bringen.
Während sie den Blasebalg zusammendrückte, erinnerte sie sich wieder an ihre Mutter und ihre kleine Hütte. Wie weit entfernt kam ihr das alles im Moment vor!
Dabei waren erst ein paar Monate vergangen. Wechselhafte Monate, die ihr das Gefühl gaben, um Jahre gealtert zu sein.
Plötzlich fielen ein paar Späne von oben herab. Anneke erschrak und wich zurück. Als sie nach oben blickte, sah sie Tjorven, der die Holzspäne aus beiden Händen ins Feuer rieseln ließ. Er lächelte dabei, doch schon bald merkte sie, dass dieses Mienenspiel nicht ihr galt. Vielmehr freute er sich darüber, dass die Späne in Flammen aufgingen und verglühten.
»Das Feuer ist jetzt hell genug!«, rief Gitta, nachdem sie eine Weile zugesehen hatte. »Hilf mir, den Tisch zu decken!«
Anneke erhob sich sofort, und nachdem sie den Blasebalg weggelegt hatte, ging sie zum Regal, auf dem die Teller aufgereiht standen.
Als die Grütze fertig war und die Teller auf dem Tisch standen, erschienen der Wirt und seine Frau. Wie Anneke es vermutet hatte, sah sie Tjorven sehr
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