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Sturmsommer

Sturmsommer

Titel: Sturmsommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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drüberrennt. In solchen Situationen muss ich an den Film Der Pferdeflüsterer denken, an diesen brutalen Unfall, und daran, dass Mama immer Angst hat, wenn ich alleine reite.
    Die Straße kam näher und näher und irgendwann machte ich einfach die Augen zu. Versuchte verzweifelt, rechts Druck zu geben, ihn einzurahmen, ihm Ruhe zu vermitteln und mich auf einen fürchterlichen Sturz einzustellen. Plötzlich blieb er stehen. Es riss mich nach vorne, kurz saß ich fast auf seinem Hals. Mit dem Satz rückwärts rechnete ich schon und konnte ihn abfangen. Ich war oben geblieben. Ich machte die Augen auf.
    Vor mir stand Tanja, mitten auf dem Weg, mit ausgebreiteten Armen. »Hooooh«, machte sie leise mit tiefer Stimme. Damos atmete schwer und zitterte am ganzen Körper. Er tänzelte noch ein paar Mal vor und zurück, dann wurde er langsam ruhiger.
    »Meteor hat auch verrücktgespielt. Das ist das Wetter«, sagte Tanja beiläufig, ohne mich anzublicken. »Ich hab dich gesehen.« Sie hatte sich tatsächlich mitten auf den Weg gestellt. Obwohl ein galoppierendes Pferd auf sie zuraste. Sie ist bekloppt, wirklich bekloppt.
    »Ach ja«, sagte ich. Etwas anderes fiel mir nicht ein. Erst jetzt wurde mir klar, was alles hätte passieren können.
    »Er wäre schon noch ins Feld gerannt. Sicher. Der bringt dich doch nicht um.«
    Ich antwortete nicht. Ich muss mir von ihr nicht das Reiten erklären lassen. Ich bin mir nicht so sicher, ob er tatsächlich abgebogen wäre. Aber ich weiß: Wenn er es nicht getan hätte und wir irgendwie überlebt hätten, wäre ich nie mehr aufgestiegen. Dann wäre es nicht mehr mein Pferd. Ich würde ihm nicht mehr trauen und er mir nicht.
    »Ich geh dann mal wieder«, meinte Tanja und lief Richtung Stall.
    Ich stieg ab und dachte an die Worte meines Reitlehrers. Niemals klein beigeben. Zeigen, wer der Boss ist. Aber Damos hatte auf einmal Angst gehabt. Einfach Angst. Wie ich heute Morgen vor der Mathearbeit.
    Doch wenn ich der Boss bin, muss ich ihm beibringen, vor was er Angst haben kann und vor was nicht. Ganz bestimmt nicht vor einem Erdbeerfeld.
    »Komm, mein Großer, wir gehen da noch mal hin«, sagte ich zu ihm. Noch immer konnte ich das Weiße in seinen Augen sehen.
    Wir näherten uns Schritt für Schritt, mit Pausen, in denen er ängstlich schnaubte. Dann blieben wir lange am Rand des Erdbeerfeldes stehen. Von Minute zu Minute wurde er ruhiger. Ich führte ihn hin und her, an den bunten Menschen vorbei und wieder zurück. Ich wusste, dass ich nicht drum herum kam, jetzt wieder aufzusteigen. Die Zügel hatten mir in die Hände geschnitten, als er gestiegen war, und mein Nacken tat scheußlich weh.
    Als ich den Fuß im Steigbügel hatte, wallte Panik in mir auf. Dann riss ich mich zusammen und hievte mich hoch. Ich nahm die Zügel kurz, gab aber eine sanfte Parade nach der anderen und sprach ununterbrochen mit ihm. Ganz langsam lenkte ich ihn im Schritt am Feld vorbei und zurück zur Straße. Er war fertig und müde, ich merkte es. Ich konnte ihn jetzt nicht alleine lassen.
    Im Stall gab ich ihm Melasse und strich ihm die Hufe ein. Bürstete sein Fell, bis es schimmerte. Er drückte ständig seinen schweren Kopf an mich, als wollte er sich entschuldigen. Aber mir tat es auch leid.
    Später kam mein Reitlehrer dazu und grinste mich wissend an. »Das hat sie gut gemacht«, sagte er anerkennend. Mehr als ein »Hmpf« brachte ich nicht zustande. »Du darfst keinen Schlendrian einreißen lassen. Gerade mit Damos. Der nutzt das sofort aus. Übrigens, da liegt noch ein Brief in deinem Fach.«
    »Ein Brief?«
    »Ja, schau halt mal. Schließt du die Sattelkammer ab? Ich mach dann Feierabend!«
    Tatsächlich, es war schon kurz vor sieben.
    »Kein Problem.« Ein Brief? Wahrscheinlich fragt jemand, ob ich Futter mitbestelle. Aber das überlasse ich Papa.
    Seitdem Markus weg ist, sitze ich bei Damos und versuche ihm irgendwie zu zeigen, dass ich nicht böse bin. Das Gewitter hat sich verzogen. Ich beschließe, ihn doch noch etwas auf die Weide zu lassen. Meteor ist auch draußen, mit einem hübschen Fliegenschutz auf der Nase.
    Danach gehe ich in die Sattelkammer und wasche die Trense aus. Vorhin hatte Damos ein bisschen Blut im Schaum. Wie ein Stich meldet sich das schlechte Gewissen bei mir, wenn ich daran denke. Ob er mir noch vertraut? Ob ich ihn noch verdiene?
    Wenn ich fünf Lieblingsorte aussuchen müsste, dann wäre die Sattelkammer unter den ersten drei. Ich mag diesen Geruch aus Leder und Staub und

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