Sturz der Titanen
zu mir sein? Vierundzwanzig Pfund im Jahr war der Lohn eines Hausmädchens und die Hälfte von dem, was Ethel als Haushälterin verdiente, und sie verlor obendrein freie Kost und Logis.
Warum eigentlich glaubten die Männer, sie kämen mit so etwas durch? Wahrscheinlich, weil es ihnen normalerweise gelang. Eine Frau hatte keine Rechte. Um ein Kind zu zeugen, brauchte es Mann und Frau, aber nur der Frau erwuchsen Pflichten daraus. Wie hatten die Frauen zulassen können, in eine solch schwache Position gedrängt zu werden? Es machte Ethel wütend.
Sie sagte noch immer nichts.
Solman zog einen Stuhl heran und setzte sich ganz nahe vor sie. »Sie müssen das Gute an der Sache sehen. Sie haben zehn Shilling die Woche …«
»Nicht ganz«, fiel sie ihm ins Wort.
»Nun, dann sagen wir eben sechsundzwanzig Pfund im Jahr, das sind zehn Shilling die Woche. Was sagen Sie dazu?«
Ethel sagte kein Wort.
»Für zwei oder drei Shilling bekommen Sie ein hübsches kleines Zimmer in Cardiff, und den Rest können Sie für sich ausgeben.« Er tätschelte ihr das Knie. »Und wer weiß, vielleicht finden Sie einen großzügigen Mann, der Ihnen das Leben ein wenig erleichtert … hm? Sie sind ein sehr hübsches Mädchen, wissen Sie.«
Ethel gab vor, nicht zu begreifen, was er meinte. Der Gedanke, die Geliebte eines widerlichen Anwalts wie Solman zu sein, stieß sie ab. Glaubte er wirklich, er könnte Teddys Platz einnehmen? Sie ging nicht auf seine Anzüglichkeit ein. »Gibt es Bedingungen?«, fragte sie kalt.
»Bedingungen?«
»Die an das Angebot des Earls geknüpft sind.«
Solman hüstelte. »Das Übliche.«
»Das Übliche? Sie haben so etwas schon einmal gemacht?«
»Nicht für Earl Fitzherbert«, beeilte er sich zu versichern.
»Aber für jemand anders.«
»Bleiben wir beim Thema, bitte.«
»Dann reden Sie weiter.«
»Sie dürfen weder den Namen des Earls auf die Geburtsurkunde setzen noch auf andere Weise preisgeben, dass er der Vater ist – ganz gleich, wem gegenüber. Das sind die Bedingungen.«
»Und Ihrer Erfahrung nach, Mr. Solman, sind Frauen mit diesen Bedingungen normalerweise einverstanden?«
»Aber ja.«
Natürlich, dachte Ethel voller Bitterkeit. Welche Wahl bleibt ihnen auch? Sie haben kein Recht auf irgendetwas, also nehmen sie, was sie kriegen können. »Ist sonst noch etwas?«
»Sobald Sie Ty Gwyn verlassen haben, dürfen Sie nicht mehr versuchen, sich mit Seiner Lordschaft in Verbindung zu setzen, auf welche Weise auch immer.«
Aha, dachte Ethel, er will weder mich noch sein Kind sehen. Enttäuschung stieg in ihr auf wie eine Flut aus Schwäche. Hätte sie nicht gesessen, sie wäre womöglich zusammengebrochen. Sie biss die Zähne zusammen, damit sie nicht weinte. Als sie sich halbwegs gefasst hatte, fragte sie: »Sonst noch was?«
»Ich glaube, das ist alles.«
Ethel erhob sich.
Solman sagte: »Sie müssen mir noch mitteilen, wohin die monatlichen Zahlungen gehen sollen.« Er nahm eine kleine silberne Schachtel aus der Tasche und zog eine Visitenkarte heraus.
»Nein«, sagte Ethel, als er ihr die Karte hinhielt.
»Aber Sie müssen wissen, wie Sie mich erreichen …«
»Nein, muss ich nicht«, erwiderte sie.
»Wie darf ich das verstehen?«
»Das Angebot ist nicht akzeptabel.«
»Seien Sie nicht dumm, Miss Williams …«
»Ich sage es noch einmal, Mr. Solman, damit auch wirklich alle Zweifel beseitigt sind: Das Angebot ist nicht akzeptabel. Meine Antwort lautet Nein. Ich werde nicht weiter mit Ihnen sprechen. Guten Tag.«
Ethel ging hinaus und knallte die Tür hinter sich zu.
Wieder in ihrem Zimmer, schloss sie ab und weinte sich die Seele aus dem Leib.
Wie konnte Teddy so grausam sein? Wollte er sie wirklich nie wiedersehen? Oder sein Kind? Glaubte er tatsächlich, dass alles, was zwischen ihnen geschehen war, mit vierundzwanzig Pfund im Jahr ausgelöscht werden könnte? Liebte er sie denn überhaupt nicht mehr? Hatte er sie je geliebt? War sie am Ende eine Närrin?
Sie hatte geglaubt, dass er sie liebte. Sie war sicher gewesen, dass sie ihm wenigstens ein bisschen bedeutete. Vielleicht hatte er ihr die ganze Zeit etwas vorgespielt und sie getäuscht, aber das glaubte sie nicht. Als Frau merkte man, ob ein Mann sich verstellte.
Wenigstens machte seine Hartherzigkeit ihr das Verhandeln leichter, denn nun brauchte sie auf seine Gefühle keine Rücksicht mehr zu nehmen. Sie konnte sich ganz darauf konzentrieren, für sich und das Kind das Beste herauszuschlagen. Ethel malte sich aus,
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