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Sturz in den Tod (German Edition)

Sturz in den Tod (German Edition)

Titel: Sturz in den Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Gebert
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stand auf und wusste plötzlich nicht, wohin. In diesem Zimmer
wollte sie nicht bleiben, doch unten im Haus rumorte es in der Küche, und ihrer
Mutter wollte Nina keinesfalls begegnen. Die Vergangenheit herrschte in diesem
Haus.
    Sie hatte geglaubt, damit längst abgeschlossen zu haben.
    Nina erwog, noch an diesem Tag nach Hamburg zurückzukehren, ihr
Leben dort weiterzuführen. Doch sie verwarf den Gedanken. Sie brachte es nicht
über sich, ihre Mutter allein zu lassen, denn diese schien zum ersten Mal im
Leben am Ende ihrer Kräfte zu sein. Sie hatte früher viel Kraft aufgebracht,
sogar nachdem eines Tages ihr Mann, Ninas Vater, nicht mehr nach Hause gekommen
war. Beim Fischen war er mit seinem kleinen Boot in einen Sturm geraten,
gekentert und offenbar ertrunken. Es war Februar gewesen, sein Leichnam wurde
nie gefunden. Als das passierte, war Nina noch so klein gewesen, dass sie sich
kaum daran erinnerte. Dass sie sich kaum an ihren Vater erinnerte. Ihre Mutter
hatte es mit ihrer Liebe und Lebensfreude geschafft, dass Nina nicht mehr lange
nach ihm fragte. Vielleicht war nun die Schließung ihres Ladens der eine
Schicksalsschlag zu viel in ihrem Leben gewesen.
    Dass in diesem Haus keine Fotos mehr von ihrem Vater existierten,
war Nina schon als jungem Mädchen aufgefallen. Als Grund nahm sie an, dass der
Mutter die Erinnerung an den Verlust ihres Mannes, der ihre große Liebe gewesen
war, unerträglich war. Nina hatte ihre Mutter vor ein paar Jahren einladen
wollen, einen Blumenstrauß am Stein »Zum Gedenken an die Verstorbenen, die in
der Lübecker Bucht ihre ewige Ruhe fanden« für den verschollenen Vater
niederzulegen. Ninas Mutter hatte das nicht gewollt. Nina war allein zu dem
Stein gegangen, der sich am Brodtener Ufer in Richtung Hermannshöhe befand, und
hatte ihre Blumen zu den anderen Sträußen gelegt. Öfter hatte sie versucht,
sich das Bild ihres Vaters ins Gedächtnis zu rufen, doch es gelang ihr nicht.
Manchmal träumte sie von ihm, doch auch in ihren Träumen war er ein Mann ohne
Gesicht.
    Sie nahm die Visitenkarte von Alexander Bergmann aus der Handtasche.
Letztendlich würde sie doch auch in ihrem Interesse ermitteln, wenn sie für Alexander
Bergmann nach demjenigen suchte, der seine Mutter bestohlen und eventuell auch
umgebracht hatte. Auch oder weil die Polizei sich nicht mehr dafür
interessierte. Außerdem würde Nina fünfhundert Euro pro Tag bezahlt bekommen.
Dafür müsste sie eine Menge Gebrauchsanweisungen übersetzen.
    Nina entschied sich, Alexander Bergmanns Auftrag nur anzunehmen,
wenn inzwischen kein Übersetzungsjob für sie eingegangen war. Sie schaute
erneut in ihre E-Mails. Ihr Postfach war leer.
    ***
    Ihr Vermieter winkte ihr von der Garage
her zu. Romy winkte dankend mit der Zeitung zurück, die er ihr wieder einmal
auf den Tisch unter den Blumentopf-Aschenbecher gelegt hatte. Die Anzeigen für
Zimmer oder Wohnungen rissen er oder seine Frau offensichtlich immer heraus,
vermutlich weil sie wollten, dass Romy ihnen als Mieterin erhalten blieb. Der
Anzeigenteil für Jobangebote war noch vorhanden.
    Wenn ihre Vermieter in Sichtweite waren, tat Romy
manchmal so, als wenn sie ausführlich mit jemandem telefonierte, dem sie
berichtete, wohin es sie verschlagen hatte und dass es ihr gut ging.
    Der üppige Rosenstrauß, den sie von Pasquale
bekommen hatte, verblühte bereits. Sie beschloss, den Strauß zu trocknen, und
nahm ihn aus der alten, matten Kristallvase, die sie unter der Spüle gefunden
hatte. Ausrangiert, dachte Romy, wie alles hier. Das Blumenwasser stank nach
verfaulten Eiern, als sie es in den Ausguss kippte. Romy schnitt die
angefaulten Stiele ab, band den Strauß zusammen und suchte nach einem Platz, an
dem sie ihn aufhängen konnte. Sie stand auf einem Stuhl, als Pasquale plötzlich
in der Tür stand. Romy erschrak, ihr fiel der Strauß aus der Hand.
    Er trat ein, entschuldigte sich mehrmals und
beteuerte, er habe es nicht mehr ausgehalten ohne sie.
    »Das ist gegen die Abmachung!«, sagte Romy, stieg
vom Stuhl und hob den Rosenstrauß auf.
    »Welche Abmachung?«, fragte Pasquale.
    »Dass ich mich melde.«
    »Aber du meldest dich nicht.«
    »Tut mir leid, aber ich kann jetzt einfach keine
Beziehung gebrauchen. Was passiert, wenn sich einer von uns verliebt?«
    »Ich bin schon verliebt«, sagte Pasquale und kam
einen Schritt auf sie zu.
    Romy wich zurück. Sie bedauerte, nicht auf
Kommando weinen zu können. »Ich denke auch oft an dich. Dabei weiß ich nicht
mal, ob

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