Sturz in den Tod (German Edition)
Verhängnis werden
könnte.
***
Die Scheine fühlten sich so sauber an, als hätte noch
niemand damit bezahlt. Und doch haftete etwas daran, das Nina beunruhigte. Sie
zählte das Geld immer wieder durch. Fast zweitausend Euro hatte Alexander
Bergmann einfach so aus der Jackentasche gezogen und ihr übergeben. Ohne eine
schriftliche Vereinbarung, ohne Quittung. Und dabei schien er selbst unter
hohem finanziellem Druck zu stehen. Kam es Nina nur so vor, oder interessierte
sich ihr Auftraggeber weniger dafür, ob und wer seine Mutter vom Balkon
gestoßen hatte, als dafür, ob derjenige im Besitz des Geldes war, das fehlte?
Nina hätte Alexander Bergmann noch so einiges fragen müssen. Weshalb
und seit wann sein Verhältnis zur Mutter nicht mehr gut war. Ob es vielleicht
erst zum Zerwürfnis gekommen war, seitdem Frau Bergmann vermeintlich ein
Verhältnis mit einem jüngeren Mann hatte. Seit ihr Sohn vermutete, dass sie an
ihren jungen Freund ihr Vermögen verschleuderte.
Konnte Elisabeth Bergmann mit ihrem Vermögen nicht machen, was sie
wollte? Sie war doch im vollen Besitz ihrer geistigen Kräfte gewesen. Dabei
hatte Nina Verständnis für Alexander Bergmann, der sich daran störte, dass
seine Mutter einfach begonnen hatte zu leben, wie es ihr beliebte. Mit einem
anderen Menschen. Für einen fremden Menschen. Und ihren Sohn hatte das
gefälligst nichts anzugehen. Liebe ist die Bevorzugung eines
Menschen, hieß es. Nina war ebenfalls Einzelkind und könnte es wohl auch
kaum ertragen, wenn jemand anders im Leben ihrer Mutter eine bevorzugte
Stellung einnähme. Egal, wie gleichgültig sie ihr oft war, Nina wollte die
Hauptperson im Leben ihrer Mutter sein.
Sie sah sich in ihrem Zimmer um und erinnerte sich, wie sie es
gehasst hatte, wenn ihre Mutter es nach ihrem Auszug gelegentlich an fremde
Menschen vermietete. Wie sie es vermieden hatte, ihre Mutter zu besuchen, wenn
Fremde in ihrem Zimmer wohnten. Wie sie es doch
einmal tat, weil die Mutter einen runden Geburtstag hatte und Nina dann auf dem
Sofa schlafen musste und sich wie eine Fremde vorkam. Wie viele Leute hatten im
Laufe der Jahre in ihrem Bett geschlafen, auf ihrem Stuhl gesessen, aus ihrem
Fenster geschaut? Nun war sie in ihr altes Zimmer zurückgekehrt und kam sich
wieder wie eine Fremde vor.
Nina musste hier raus. Sie steckte den kleinsten Schein ihres
Honorars, fünfzig Euro, ins Portemonnaie und versteckte die restlichen Scheine
in der Reisetasche im Schrank. Wenn sie die noch ausstehende Summe verdienen
wollte, musste sie endlich anfangen, den Job zu machen, den sie angenommen
hatte. Die Zeit lief.
Nina verließ leise ihr Zimmer und horchte an der Treppe, ob ihre
Mutter in der Nähe war. Sie stieg die Stufen hinab und fand ihre Mutter auf dem
Sofa vor, vertieft in eine Gerichtsshow, die im Privatfernsehen lief. Nina
hasste es, dass ihre Mutter immer die Tür aufließ, ob sie fernsah, las oder
schlief. Als wollte sie ihre Tochter ständig kontrollieren. Vermutlich waren
deshalb auch die Feriengäste ausgeblieben, weil es unerträglich war, ständig
unter Beobachtung zu stehen. Nina hoffte, ihre Mutter würde nicht aufsehen,
wenn sie an der Tür zum Wohnzimmer vorbeischlich. Doch die Mutter sah auf. Nina
tat so, als bemerkte sie den fragenden Blick nicht und zog schnell die Haustür
hinter sich ins Schloss, was aus Versehen etwas laut geriet.
Den ganzen Weg über den Platz, an der Kirche und am Steinbrunnen mit
den Bronzefiguren vorbei, dachte sie noch darüber nach, ob ihre Mutter annehmen
könnte, dass sie die Tür absichtlich zugeschlagen hätte. Ihre Mutter war gut
darin, Nina Schuldgefühle zu suggerieren. Dazu musste sie gar nichts sagen.
Das war schon so gewesen, als Nina noch ein Kind war. Der
demonstrative Blick der Mutter auf die Uhr, wenn Nina etwas zu spät nach Hause
kam, der vorwurfsvolle Ausdruck, wenn Nina beim Spielen im Freien schmutzig
geworden war. Später die Gewissheit, dass die Mutter erst würde schlafen
können, wenn Nina vom Surfen und hinterher der Party mit Freunden am Strand
wieder zurück war. Wenn Nina damals nachts leise die Tür aufschloss, saß die
Mutter im Nachthemd im halbdunklen Wohnzimmer bei offener Tür zum Flur, erhob
sich und ging ohne ein Wort ins Bett.
Irgendwann hatte es dann begonnen. Irgendwann hatte Nina angefangen
zu klauen. Vielleicht weil Nina etwas tun musste, um sich wirklich schuldig zu
fühlen. Nur Kleinigkeiten, niemals von Menschen, die sie kannte, immer nur
anonym in Läden. Eine
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