Sturz ins Glück
Ihr Vater hätte sie enterbt, wenn er gehört hätte, dass sie sich immer noch für diese Arbeitsstelle interessierte. Seine Leidenschaft waren Pferde gewesen, aber er hatte auch ein paar Hundert Rinder besessen. Es gab nicht einen Rinderzüchter in Texas, der bei dem Gedanken ruhig bleiben konnte, dass ein ordinärer Schäfer seine Tiere über Weideland führte, das Gott eindeutig für Longhorns vorgesehen hatte. Es fühlte sich an, als würde sie mit dem Feind sympathisieren. Doch ihre Wolke leitete sie. War es möglich, dass Gott etwas falsch machte?
„Da sind wir, Ladys“, rief Mr Bevin. „Ihr erster Blick auf Westcott Cottage.“
Adelaide reckte sich, um über die Köpfe vor sich hinwegblicken zu können. Was sie sah, verschlug ihr den Atem. Nur ein verwöhnter Engländer konnte dieses malerische Anwesen als schlichtes Cottage bezeichnen.
Das elfenbeinfarbene zweistöckige Schlösschen lag auf einem Hügel und fügte sich so gar nicht in die rustikale texanische Landschaft ein. Ein verträumtes Seufzen entfuhr ihr. Es war das romantischste Haus, das sie jemals gesehen hatte. Eine Veranda umgab das ganze Gebäude, dazu besaß es riesengroße Fenster und sogar einen kleinen Erker. Alles, was Adelaide jetzt noch brauchte, war ein Prinz, um jeden Mädchentraum zu erfüllen, den sie jemals gehabt hatte.
Die Kutsche rumpelte wieder über eine Unebenheit. Adelaide rutschte von dem Koffer, auf den sie sich gestützt hatte, und schlug mit ihrem Ellbogen an der Wand an. Der stechende Schmerz brachte sie in die Wirklichkeit zurück. Sie war keine Prinzessin in einer verzauberten Kutsche, die sich auf der Reise zu ihrem Prinzen befand. Sie war Adelaide Proctor, eine arbeitslose Lehrerin, die auf der Suche nach einer Anstellung war.
Nachdem Mr Bevin das Zeichen zum Anhalten gegeben hatte, kletterte Adelaide vom Wagen, ohne auf seine Hilfe zu warten. Stattdessen nutzte sie die Speichen der Räder als Treppe.
„Also wissen Sie, Sie sollten mir wirklich gestatten, Ihnen zu helfen.“ Das unterdrückte Lachen in Mr Bevins Stimme entlockte ihr ein Lächeln.
„Sie schienen alle Hände voll zu tun zu haben.“ Adelaide strich ihren Rock glatt und machte sich daran, die Leine loszuknoten, die Saba mit der Kutsche verband.
Während er sich gegen den Wagen lehnte, flüsterte er ihr leise zu: „Unter uns – ich glaube nicht, dass ich es noch eine Minute länger mit den beiden aushalte. Ich habe schreckliche Angst, dass Mr Westcott Sie einstellt und mich mit diesen Schreckgespenstern zurück nach Fort Worth schickt.“
Adelaide kicherte. „Schämen Sie sich, Mr Bevin.“ Dann erhob sie sich auf die Zehenspitzen, um zurückzuflüstern: „Ich verspreche Ihnen etwas. Wenn Mr Westcott mich nicht nimmt, dürfen Sie den halben Tag lang auf Saba reiten.“
Er legte seine Hand aufs Herz und seufzte übertrieben erleichtert. „Sie sind ein Engel, Miss Proctor. Ein wahrer Engel.“ Dann grinste er breit. „Es ist Ihnen hoffentlich klar, dass ich jetzt keinerlei Anreiz mehr habe, ein gutes Wort für Sie einzulegen.“
Lachend wandte sie sich wieder ihrem Pferd zu.
„Sollen wir etwa den ganzen Tag hier herumstehen, Sir?“, keifte Mrs Carmichael. „Bringen Sie uns zum Haus.“
Mr Bevin seufzte theatralisch und setzte dann wieder seine höfliche Maske auf. „Kommen Sie, Ladys.“ Er bot Adelaide seinen Arm, doch sie lehnte ab.
„Ich will mich erst um Saba kümmern.“
„Lassen Sie mich etwa jetzt schon im Stich?“ Er zwinkerte. „Der Stall ist hinter dem Haus in Richtung Westen.“
Adelaide führte Saba in die Richtung, die Mr Bevin ihr genannt hatte. Als sie an dem Haus vorbeigegangen war, sah alles gleich viel mehr nach einer Farm aus als vorher. Mehrere Nebengebäude erstreckten sich über den Hof. Schlafbaracke, Scheune, Stall und ein kleines Lagerhaus reihten sich aneinander. Als sie auf die Pferdeboxen zuging, bemerkte sie einige umzäunte Rasenstücke in der Nähe. Auf dem nächstgelegenen grasten lustlos ein paar Schafe, während um sie herum ausgelassene Lämmer hüpften. Sie schienen eine solche Freude zu empfinden, dass Adelaide unwillkürlich lächeln musste. Vielleicht waren Schafe doch nicht so schlimm.
Saba schnaubte, als sie die anderen Pferde roch, und stupste Adelaide an.
„Natürlich. Ich komme schon.“
Sie betraten den Stall mit den Boxen, aber niemand kam, um ihr zu helfen. Adelaide fand, dass es einfacher war, selbst eine leere Box für ihr Pferd zu finden, als auf Hilfe zu warten, also
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