Such mich Thriller
hielt das Foto einer Sechsjährigen hoch. »Sie hat die leuchtendsten blauen Augen, das sonnigste Lächeln. Und sie spielt Klavier. Pardon, sagte ich das schon? Wie dumm von mir.«
Nach dem Abendessen sah Peter Finn zu, wie sich sein Vater mit den Stangen, der Zeltbahn und den Seilen plagte. Übung genug hatte er, eigentlich hätte ihm die Arbeit leicht von der Hand gehen müssen, aber er tat sich immer schwerer damit. Mit dem Kopf eines Beils trieb er die Heringe in die Erde, an denen die Zeltbahn befestigt werden sollte.
Vor einem Jahr war Joe Finn für Peter ein Monster gewesen, das sich nachts auf seine Bettkante gesetzt hatte. An manchen Tagen war das Gesicht seines Vaters so zugerichtet gewesen, dass es kaum noch zu erkennen war. Blut sickerte durch die Verbände, die der Cutman ihm am Ring angelegt hatte, und auch dieser Cutman gehörte zu den Monstern aus Peters Boxerwelt.
Als man ihnen Ariel genommen hatte, war Schluss mit dem Boxen, und aus dem Monster wurde unerklärlicherweise die Zahnfee, die einem Geld für die ersten Milchzähne schenkte, kochte, putzte und die Frühstücksbox für die Schule herrichtete. Der Boxer verstand sich nicht sehr gut auf diese Aufgaben, die Ariel so perfekt und mühelos erledigt hatte. Wenn sein Vater immer wieder erfolglos versuchte, die Wäsche richtig zusammenzulegen, waren Peter aus liebevollem Mitleid schon oft die Tränen gekommen.
Joe Finn trieb den letzten Pflock in den Boden. Die Seile waren straff, die Stangen standen gerade - und dann merkte er, dass er den Zeltboden auf steinigen Untergrund gelegt hatte.
Klaglos zog er die Pflöcke wieder heraus, die Zeltbahn fiel in sich zusammen, die Stangen kamen hinterher, und er fing wieder von vorn an.
Peter senkte den Kopf. Und weinte.
Riker war allein auf Nachtwache - wenn man die unerfahrenen FBI-Agenten nicht mitzählte. Riker jedenfalls hatte sie nicht auf der Rechnung.
Die Interviews waren schon vor Stunden zu Ende gegangen, und die meisten Reporter hatten sich in die nahe gelegene Stadt verzogen. Ein paar besonders Sensationslüsterne strichen - wohl in der Hoffnung auf frisches Blut oder auf einen Schrei in der Nacht - noch um das Lager herum. Essensdüfte stiegen Riker bei jedem Windstoß in die Nase, obgleich alle Lagerfeuer heruntergebrannt waren. Das Gelände war heute besser beleuchtet. Riker hatte von den abziehenden Fernsehteams Generatoren und Scheinwerfer geschnorrt, auch die Taschenlampen der patrouillierenden FBI-Leute sorgten für mehr Licht. Aus dem einen oder anderen Radio kam Musik, hier und da sprachen zwei oder drei Leute leise miteinander, sonst war alles still.
Und dann kam Mallory.
Riker hatte weder ihr Auto noch das Zuschlagen der Tür gehört. Als er sich umdrehte, ging sie schon an ihm vorbei, den Rucksack über der Schulter, den sie überall mitschleppte. Ob darin die Briefe steckten, die einmal Savannah Sirus gehört hatten?
Mallory ging auf das Lagerfeuer von Mrs. Hardy zu, und jetzt wusste Riker, wessen Kind man in dem neuesten Grab gefunden hatte.
Auch die Mutter spürte es.
Mrs. Hardy saß auf einer Decke vor dem verlöschenden
Feuer und zwang sich, Mallory zuzulächeln - vielleicht dachte sie, dass ein Irrtum noch möglich war. Aber Mallory kam mit der Unausweichlichkeit eines heranrasenden Zuges auf sie zu, und die ältere Frau wartete ergeben auf die vernichtenden Worte. Mallory setzte sich auf die Decke, und das Ritual begann: das langsame Kopfschütteln der Mutter - Ungläubigkeit - nein, nicht mein Kind -, ein Irrtum. Und als schließlich klar wurde, dass Leugnen zwecklos war, sank sie an Mallorys Brust und weinte lange. Die anderen Eltern hielten sich fern - als fürchteten sie, der Tod eines Kindes könnte ansteckend sein. Aber Mallory ließ die Mutter nicht im Stich.
Joe Finn wandte den traurigen Blick von Mrs. Hardys Lagerfeuer ab und löschte die glühende Asche mit einem Eimer Wasser. Dann beugte er sich über seinen schlafenden Sohn und küsste ihn auf die Stirn. Das konnte er nur riskieren, wenn Peter schlief, denn der war jetzt in dem für den Vater so schmerzlichen Alter, in dem er sich weigerte, in der Öffentlichkeit Joe Finns Hand zu halten. Peter war ein großer Junge geworden. Irgendwann - leider nur zu bald - würde er sich in einen schlaksigen Teenager verwandelt haben, einen launischen, verdrossenen Burschen, der mit seinem Vater nicht mal mehr reden würde. Joe gab ihm noch einen Kuss, er hungerte danach, den Jungen zu lieben, so lange der
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