Südbalkon
transplantiert, er darf zwei Felder vorrücken. Ich presse die Hände auf die Ohren, um das Flüstern und Kichern nicht mitanhören zu müssen.
Mit einem Mal erzittert die Etagere vor mir. Der Mann, vollkommen entfesselt, stößt den Kopf der Frau gegen das Regal. Ich flüchte in mein weißes Zelt. Auch die Frau hat ihre Hemmungen abgelegt. Ihr Stöhnen klingt frisch und überrascht, so als kenne sie den Mann noch nicht lange. So stöhnt man, wenn man mehr bekommt, als man erwartet.
Als ich aus meinem Versteck hervorluge, sehe ich, dass Iredran ein Bein der Frau am Knöchel festhält und in einem abenteuerlichen Winkel von ihrem Körper abspreizt. Diese Frau ist sehr biegsam, wahrscheinlich eine ehemalige Kunstturnerin. Raoul würde das gefallen. Er hatte sich immer eine biegsame Frau gewünscht und mich bekommen.
Immer wieder drängt sich Judith in meine Gedanken. Judith, die sich aus dem Fenster beugte und in ihren Haaren wühlte. Bestimmt wollte sie, dass Raoul es sah, nicht ich. Raoul war der Adressat, nicht ich, und ich glaubte noch, dass sie mich um Hilfe rief, dabei rief sie nur nach ihrem Liebhaber. Jetzt verstehe ich ihr Seufzen, ihr Mitgefühl, als ich von Raouls Krankenhausaufenthalt berichtete.
Ich muss mich beruhigen, denke ich, doch vor mir liegt der Irrsinn, und hinter mir liegt der Irrsinn, da fällt mein Blick auf den Korb mit den Obstkonserven aus dem Cento-Markt. Essen ist immer ein Ausweg, wenn nicht sogar der zuverlässigste von allen. Ich entscheide mich für Ananas, denn meine Mutter gab mir Ananas, wenn ich Alpträume hatte. Ananas radiere die bösen Bilder aus, hatte sie gesagt.
Ich ziehe an der Metalllasche, der Deckel hebt sich von der Dose. Die Ananasringe liegen übereinander im Ananassaftbad. Ich greife hinein und ziehe einen Ring heraus. Lecke den Saft ab, er schmeckt köstlich, warm und süß. Ich darf nicht zuschmatzen beginnen oder müsste zumindest dieselbe Tonart wie die beiden Liebenden treffen. Ob sie sich tatsächlich lieben, kann ich nicht wissen, doch wenn Liebe laut und stark ist, dann sind sie zumindest nahe dran.
Vorsichtig knabbere ich den Ring an, die Ananas zergeht auf der Zunge, im Nu habe ich sie aufgegessen und angle schon nach der nächsten.
Je mehr ich davon esse, umso größer wird meine Gier. Ich stecke die beiden letzten zugleich in den Mund. Die Frau und der Mann praktizieren währenddessen einen Stellungswechsel. Die Frau dreht sich um, kniet auf dem Laminat, während sich Iredran an sie dranhängt wie ein Waggon an die Lokomotive, seine Anhängerkupplung ist vorschriftsmäßig eingerastet. Nicht den Kopf heben, nur nicht den Kopf heben, denke ich, wie ein Mantra.
Und dann legt der Mann seine Hand auf das Hinterteil der Frau, und ich kann meinen Blick nicht abwenden. Diese gespreizten Finger, die besitzergreifende Geste, das ist die Hand von Herrn Walter, seine manikürten Fingernägel, die Adern auf seinem Handrücken, die unerträgliche Selbstverständlichkeit, mit der er diese Hand auf den Hintern meiner Mutter legte, nachdem er ihre Grießnockerl verschlungen hatte.
Ich möchte »Stopp!« rufen und »Aufhören!« und verschlucke mich an der Ananas, die mir mit einem Mal faserig und ungenießbar erscheint. Ich muss sie ausspucken, muss sie loswerden, ich huste, und obwohl ich den Mantel auf den Mund presse, hebt die Frau ihren Kopf, und ich sehe in ihre aufgerissenen Augen, und sie schreit: »Stopp!« und »Hilfe!«
Das Kokette ist aus ihrer Stimme verschwunden, übrig ist ein schmerzhaftes Kreischen, schrill und hysterisch. Der Mann,offenbar davon überzeugt, dass es sich um Schreie des Entzückens handelt, verstärkt seine Bemühungen. Die Frau aber schüttelt ihn mit aller Kraft ab, bis er aus ihr herausrutscht und sich aufrappelt, verwirrt. Die Frau sammelt hektisch ihre Kleidungsstücke ein und hält sie sich über Brust und Bauch.
»Da hinten sitzt einer!«, keucht sie. Ihre ausgestreckte Hand zittert.
Dass sie mich mit einem Mann verwechselt, befremdet mich. Sollte ich aufstehen und mich vorstellen? Absurd. Also bleibe ich sitzen und spucke die Ananas in meine hohle Hand.
Die Frau zischt Iredran einen Befehl zu, er schlurft um die Ecke, nackt, und sagt tonlos: »Was machen Sie hier. Spionieren Sie uns nach. Hat Ida Sie geschickt.«
Ich sage, dass ich keine Ida kenne. Dass niemand mich geschickt hätte, nicht einmal ich selbst, schließlich hätte ich mich nur versehentlich eingeschlossen.
Der Mann schleicht zurück in den
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