Süden und das grüne Haar des Todes
nicht. Dann streifte er bedächtig die Asche vom Zigarillo. »In meiner ganzen Laufbahn, die zugegebenermaßen noch nicht lange dauert, hab ich noch nie jemanden entlassen. Es gab immer eine Lösung . Und es muss immer eine Lösung geben, wenn jemand nicht total durchdreht und sich in Ausübung seines Dienstes ständig danebenbenimmt. Wir hatten zwei, drei solcher Fälle, du erinnerst dich. Nicht bei uns, aber beim Mord, bei den Brandfahndern. Wenn es in unserem Kommissariat eine Krise gab, haben wir sie bewältigt, die Leute wurden versetzt, sie haben ihren Fehler eingesehen und konnten weiterarbeiten. Ich setz niemanden auf die Straße.« Nach einer Pause rieb er sich, den Zigarillo zwischen den Lippen, wieder die Hände. »Aber Martin ist ein Desaster! Er ist kaputt. Entschuldige meine Direktheit. Er ist ein Wrack. Ich weiß gar nicht … War er denn in den letzten zwanzig Jahren mal beim Arzt? Er raucht und trinkt und schlägt sich die Nächte um die Ohren …«
»Er ist halt auch unschlafbar«, sagte ich .
»Was ist er?«
»Ich werde ihn finden«, sagte ich. »Er fängt sich wieder. Ich kenne ihn. Er hat sich immer gefangen. Immer wieder.«
Das Telefon klingelte.
»Nein«, sagte Thon. »Er fängt sich nicht mehr. Er ist leer, er hat keine Reserven mehr. Es ist viel zu riskant, ihn weiter im Dienst zu lassen.« Er nahm den Hörer ab. Als ich mich umdrehte, sagte er: »Warte!« Und in den Hörer:
»Und wo bist du jetzt? – Ja. – Mach das. – Das weiß ich nicht. – Wiedersehen.« Er legte auf. »Das war Martin. Anscheinend hat seine Lilo ihm erzählt, dass ich da war. Er ist zu Hause. Er sagt, er geht morgen zum Arzt und lässt sich untersuchen. Und er hat mich gefragt, ob ich einverstanden wär, wenn er zwei Wochen Urlaub nimmt. So geht das nicht weiter, Tabor.«
»Gib ihm seinen Urlaub«, sagte ich. »Wir kommen erst einmal ohne ihn zurecht. Lass ihn sich ausruhen. Lass ihn einfach in seinem Zimmer.«
Weil er nichts weiter sagte, verließ ich das Büro. Dass Martin am nächsten Tag zu einem Arzt gehen würde, bezweifelte ich. Derjenige, der ihm das Attest ausgestellt hatte, war ein alter Bekannter von ihm, der schon lange nicht mehr auf die absurde Idee kam, ihn zu fragen, ob er ihm nicht doch Blut abnehmen und ihn ausgiebig untersuchen solle.
In dem Raum mit dem niedrigen, schlecht abgedichteten Fenster war es kalt. Nicht nur, weil es keine Heizung gab, sondern weil von den drei Personen, die sich in dem Raum aufhielten, ein polares Schweigen ausging .
Wo geschwiegen wurde, dort lehnte ich mich an die Wand, kreuzte die Hände hinter dem Rücken und blickte geduldig meine Mitschweiger an. Nur die wenigsten hielten meine Anwesenheit länger als eine Minute aus .
Durch die dicken Gläser ihrer roten Brille sah Freya Epp mich beunruhigt an, und obwohl sie schon einige Male dabei gewesen war, wenn ich reglos dastand und womöglich noch den Kopf in den Nacken legte und die Augen schloss, nahm sie ihren Kugelschreiber von einer Hand in die andere und starrte in ihrer Not auf den Boden.
»Was ist denn jetzt?«, sagte Konstantin Gabelsberger. Er hatte sich ein braunes Jackett angezogen und eine dunkelrote Krawatte umgebunden, die sein graues Hemd nicht gerade aufhellte. Über seinem kugeligen Bauch war ein Knopf aufgesprungen. Nervös blickte er zwischen mir und der Oberkommissarin hin und her, während er zu dem Mädchen, das an der Schmalseite des Tisches saß, nur flüchtig hinsah, wie aus Furcht, sie könne plötzlich herumfahren und ihm, über den Tisch hinweg, ins Gesicht springen.
Tanja Vogelsang saß steif auf dem Stuhl, die Arme auf der Lehne, den Rücken zum Tisch und zum Raum. Sie wippte mit den Beinen und wiegte ihren Kopf wie jemand, der zu Musik schunkelt. Abgesehen vom stoppeligen, streng rasierten Nacken hatte sie ziemlich lange, kreuz und quer abstehende tiefschwarze Haare .
»Wo waren Sie denn so lang?«, sagte Gabelsberger .
Nach einer Weile sagte ich zu Freya Epp: »Danke, dass du aufgepasst hast, du kannst gehen.«
»Danke«, sagte sie und erhob sich rasch. »Soll ich die Tür zumachen?«
»Ja.«
Im Moment, als Freya die Tür hinter sich schloss, sagte Tanja laut: »Auf mich braucht niemand aufzupassen, du Nazi!«
»Wer genau ist der Nazi?«, sagte ich .
Auf Gabelsbergers bleichen Wangen breitete sich eine Verlegenheitsröte aus. »Die meint das nicht persönlich«, sagte er.
»Wie dann?«, sagte ich .
»Bitte?«
»Du blöder Typ!«, rief Tanja, sprang auf, hob den Stuhl
Weitere Kostenlose Bücher