Sündige Seide: Roman (German Edition)
Vorgesetzten sich auf seine Diskretion verlassen mußten. So hatte er für sich behalten, daß einer eine Vorliebe für junge Knaben hatte und ein anderer heroinabhängig war. Das eigene Büro war nur ein Ausdruck der Anerkennung für Andres Verschwiegenheit.
Andere Dankbarkeitsbezeugungen des Hotelpersonals und von Gästen, die seine besonderen Dienste in Anspruch genommen hatten, sammelten auf mehreren Konten in der Stadt Zinsen und machten Andre zu einem wohlhabenden Mann. Er hatte nur wenig Gelegenheit, für etwas anderes Geld auszugeben als für makellose Kleidung und für die Blumen, die er seiner maman aufs Grab legen ließ. Zweimal pro Woche wurden Bouquets, exotisch, wie sie selbst es gewesen war, auf den Friedhof geliefert. Die Blumengestecke waren grundsätzlich kunstvoller als die, die sein Vater ihr geschickt hatte, als Andre noch ein Kind gewesen war. Darauf legte er Wert.
Er war nicht groß, aber seine Haltung verlieh ihm Autorität. Er war nicht eitel, aber pingelig. Er überprüfte sein Aussehen im Spiegel auf der Toilettentür. Er trug nie etwas anderes als einen elegant geschneiderten, tadellos sitzenden dunklen Anzug, ein weißes Hemd und eine konservative Krawatte.
Jemand klopfte an seine Bürotür, und ein junger Mann in der Uniform eines Zimmerkellners kam herein. »Sind Sie fertig?«
»Sie dürfen abräumen, ja.« Kritisch musterte er Aussehen und Verhalten des jungen Kellners, der die Hauben wieder auf die Servierplatten setzte und diese auf den Servierwagen stellte. »Möchten Sie noch etwas, Mr. Philippi?«
»Nein danke.«
»Na dann.«
Andre runzelte die Stirn über die ungewöhnliche Verabschiedung, aber der Kellner hatte gute Arbeit geleistet. Jetzt würde er bestimmt in die Küche zurückgehen und bis zu seinem nächsten Einsatz mit seinen Freunden herumalbern. Andre hatte nicht viele Freunde.
Er hatte die teuersten Privatschulen und die Loyola University besucht. Aber weil er sich nie auf seinen Vater berufen konnte und sein Vater ihn nie erwähnen durfte, war er immer ein Außenseiter geblieben. Es machte ihm nichts aus. Für ihn gab es nur das Hotel. Was außerhalb seiner Mauern vorging, war für ihn kaum von Interesse oder Bedeutung. Er war nicht ehrgeizig. Er schielte nicht auf einen Vorstandsposten. Sein Traum war es, im Fairmont zu sterben. Sein winziges Apartment befand sich in Gehweite des Hotels, aber er war nur ungern dort. Wenn man es ihm erlaubt hätte, hätte er das Fairmont nie verlassen.
Andre hatte nur ein Laster. Jetzt gab er sich ihm hin wie ein Gourmet, der sich einen Likör nach dem Essen gönnt. Er zog die oberste Schublade seines Schreibtisches auf und schaute auf das gerahmte, signierte Foto. Ach, Yasmine. So exquisit. So schön. »Für einen Teufelskerl« hatte sie über die verschnörkelte Unterschrift geschrieben.
Er war mehr als nur ein glühender Verehrer. Seit Jahren betete er sie mit einer Hingabe an, die an Besessenheit grenzte. Es war nichts Sexuelles. Das wäre profan gewesen. Nein, er vergötterte sie wie ein Kunstliebhaber ein unverkäufliches Meisterwerk. Er bewunderte sie und schwärmte für sie, und er wünschte aus tiefstem Herzen, daß sie glücklich wurde – wie er es maman gewünscht hatte.
Schließlich schob er die Lade zu, wissend, daß er heute nacht noch öfter Gelegenheit haben würde, das atemberaubende Gesicht anzuschauen, das in Gedanken immer bei ihm war. Jetzt aber war es Zeit für den stündlichen Kontrollgang zum Empfang. Es schien keine Probleme zu geben. Er entdeckte einen Zigarettenstummel auf dem Teppich vor den Aufzügen. Auf ein Fingerschnippen hin eilte ein Page herbei und entfernte ihn. Er zupfte eine welke Rose aus einem Blumengesteck und fragte die heimkehrenden Gäste höflich, ob alles zu ihrer Zufriedenheit sei. Sie versicherten ihm, daß wie immer alles perfekt sei.
Während er die Lobby durchschritt, erinnerte er sich schaudernd an den entsetzlichen Morgen nach dem Mord an Jackson
Wilde. Was für ein gräßlicher Vorfall – und dazu noch in seinem Hotel!
Er war nicht besonders betrübt, daß der Fernsehpriester tot war. Dem Mann war mehr an seinem Wohl als an dem der anderen gelegen gewesen. Hinter seinem Lächeln hatte sich ein häßlicher Charakter verborgen. Er hatte zu laut gelacht, zu schroff gesprochen, die Hände zu fest gedrückt. Andre hatte ihn und seine Familie höflich behandelt, aber mit dem Herzen war er nicht bei der Sache gewesen, denn persönlich war ihm Jackson Wilde zuwider.
Andre
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