Sündige Seide: Roman (German Edition)
ständig durch den Kopf, auch wenn er sich nicht mit seinem Fall beschäftigte. Mehr als einmal hatte er sich gefragt, ob diese verdammten Seifenblasen nicht tatsächlich ein Liebeszauber gewesen waren.
»Wie war’s gestern nachmittag in dem Wäscheladen?« hatte Crowder ihn bei der morgendlichen Besprechung gefragt.
»Sie meinen bei French Silk?«
»Gibt es noch einen bei diesem Fall?«
»Es ist ein ziemlich großer Betrieb. Ich hatte keine Ahnung, daß das Unternehmen so expandiert.«
»Das Unternehmen ist mir egal. Haben Sie mit dieser Laurent geredet?«
»Ja. Ausgiebig.«
»Und?«
»Sie sagt, sie ist Wilde nie begegnet.«
»Und?«
»Das ist im Grunde alles.«
»Glauben Sie ihr?«
Cassidy hatte selbst nicht ganz verstanden, warum er so ausweichend antwortete. »Sie hat mir keinen Grund gegeben, es nicht zu tun.« Weil Crowder eine genauere Begründung erwartete, erzählte er ihm von Mary Catherine Laurent und dem Mannequin Yasmine.
»Ich kenne sie«, sagte Crowder. »Ich hab’ sie mal bei Johnny Carson gesehen. Eine echte Klassefrau.«
»Ja, das ist sie. Miss Laurent, die Mutter, ist psychisch krank.« »Was Sie nicht sagen. Was hat sie?«
Crowder hatte nach Fakten gefragt. Cassidy hatte keine. Crowder wollte bestimmt nicht hören, daß Cassidy einen Steifen bekam, wenn er nur an Claire Laurent dachte. Kein gutes Zeichen für einen Staatsanwalt, der einen Mordfall klären wollte, von dem seine Karriere abhing. Es war einer jener saftigen, publikumswirksamen Fälle, nach denen sich junge, ehrgeizige Staatsanwälte die Finger leckten. Und es war sein Fall.
Er hatte die einmalige Gelegenheit erhalten, Crowder zu beweisen, daß er die Zügel in die Hand nehmen konnte, nachdem sich der Alte zur Ruhe gesetzt hatte. Er mußte die Wähler überzeugen, daß er der Richtige für einen harten Job war.
Wenn er bei einer Verdächtigen Schweißanfälle bekam und scharf wurde, machte das die Sache nicht einfacher. Claire Laurent konnte keinen kaltblütigen Mord begehen. Dazu behandelt sie ihre Mutter viel zu gut, versuchte er sich einzureden.
Aber dieses Argument war keinen Cent wert, das wußte Cassidy ganz genau. Er hatte Serienmörder kennengelernt, die auf Kommando weinen konnten, vor allem, wenn ihre Mutter in der Nähe war.
Aber etwas stimmte bei French Silk nicht. Was störte ihn daran? Er rief sich jeden ins Gedächtnis, dem er dort begegnet war: die Pförtnerin, die Empfangsdame, Claire, Mary Catherine, Yasmine. Plötzlich dämmerte es ihm. »Keine Männer.«
Keine Männer. Im Lager hatten nur Frauen gearbeitet. Harry hieß in Wirklichkeit Harriett. War das wichtig? War French Silk ein Beispiel für umgekehrte Diskriminierung? War die Beziehung zwischen Claire und Yasmine mehr als nur freundschaftlich und geschäftlich?
Die Vorstellung hinterließ einen bitteren Nachgeschmack, der sogar den Kaffee und die Zichorie überdeckte. Er kippte den Rest in die Spüle.
Nein, bestimmt nicht. Das hätte er gespürt. Sie hatten wortlos kommuniziert wie Vertraute, aber nicht wie Liebende. Auf jeden Fall war Claire Laurent kein Killer.
Andererseits kam sie ihm vor wie eine Frau, die, wenn sie einen Mann getötet hätte, keine Skrupel hätte, ihm einfach so die Hoden wegzupusten.
Sein Telefon klingelte. »Glenn hier.«
»Guten Morgen.«
Der Detective grunzte, als wäre er anderer Meinung. »Der Chef hat mich angerufen. Er sagt, diese Wilde-Frau – und das Wortspiel paßt – fordert, daß wir den Leichnam rausrücken. Wir müssen ihn freigeben, Cassidy.«
Er fuhr sich mit den Fingern durchs nasse Haar. »Scheiße. Uns bleibt wohl nichts anderes übrig. Aber ich will’s noch einmal bei ihr und ihrem Stiefsohn versuchen.«
»Wir haben ihre Aussage schon. Ich habe sie selbst ein dutzendmal verhört. Es sieht schon langsam aus wie Schikane.«
»Ich weiß, aber ich will’s trotzdem noch mal versuchen. Ich bin in einer halben Stunde dort.«
Das Gespräch mit Ariel und Joshua Wilde fing schon schlecht an. Sie saßen bereits in Cassidys Büro, als er kam. Die Witwe trug schwarze Seide und sah zerbrechlich, bleich und unbestreitbar unschuldig aus. »Mr. Cassidy, wir fliegen in einer Stunde nach Nashville. Wir möchten unseren Flug nicht verpassen.«
»Es tut mir leid«, sagte er, während er um seinen Schreibtisch ging und sich hinsetzte. »Ich bin im Stau steckengeblieben. Ich werde dafür sorgen, daß Sie rechtzeitig am Flughafen sind, und wenn ich Ihnen eine Polizeieskorte zur Verfügung stellen muß.«
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