Suesse Hoelle
nicht auf die Idee kam, beides auseinanderzuhalten. Das bedeutete, dass sie gleich zwei Probleme hatte, nein, drei. Das erste: Ihre übersinnlichen Fähigkeiten kehrten zurück, bruchstückhaft. Sie wollte es nicht, konnte aber nichts dagegen tun; sie würde damit fertig werden müssen. Diese Schlussfolgerung schob sie zunächst beiseite, denn obwohl dieses Problem den größten Einfluss auf ihr Leben nehmen würde, so brannten die anderen ihr noch mehr auf den Nägeln.
Problem zwei: Detektiv Hollister würde große Schwierigkeiten machen. Das tat er bereits. Er brachte sie mehr auf die Palme als alle anderen Menschen, die sie kannte, und das schaffte er, ohne es wirklich zu beabsichtigen. Er war ein riesiges Urgewächs, sarkastisch und skeptisch, und sie fühlte seinen Argwohn. Bei seiner Dominanz fiel ihr es schwer, nicht dem ersten Impuls nachzugeben und ihr Gesicht vor ihm zu verbergen, wann immer sie ihn erblickte. In ihm brannte diese wilde Männlichkeit, die Frauen dazu veranlasste, sich auf der Straße nach ihm umzudrehen und ihm schöne Augen zu machen, wenn sie ihm begegneten. Marlie hatte nicht viel Erfahrung mit Männern, doch bedeutete das nicht, dass sie dumm war. Ihre Reaktion auf diesen Mann erschütterte sie, sie war völlig unverhältnismäßig. Das letzte, was sie jetzt brauchen konnte, war ein sexuelles Abenteuer, ganz besonders deswegen nicht, weil es sowieso zu nichts führen konnte. Sie stöhnte auf, und ihr war klar, dass Hollister widerstrebend die gleiche Anziehungskraft fühlte. >Kleine< hatte er sie genannt. Wahrscheinlich war das einzige, was ihn zurückhielt, sein Misstrauen ihr gegenüber, doch ohne Beweise konnte er das nicht mehr lange aufrechterhalten. Männer wie er zögerten nicht, wenn sie nach einer Frau verlangten; wenn er erst einmal zugeben musste, dass sie mit dem Mord an Nadine Vinick nichts zu tun hatte, dann würde sie sich seiner erwehren müssen.
Und das brachte sie zu Problem Nummer drei, welches so schmerzlich war, dass sie den Gedanken daran ausgeklammert hatte. Das Unheil, das sie gespürt und das sie so unsicher gemacht hatte, war von der gleichen Art gewesen wie dasjenige in der Nacht, als Nadine Vinick ermordet wurde. Es war derselbe Mann. Er lief immer noch in der Stadt herum, und seine Verderbtheit richtete sich jetzt auf einen anderen Menschen. Sie besaß noch kein klares Bild, nur dieses unbestimmte Vorgefühl. Doch er würde wieder zuschlagen, und sie war die einzige Hoffnung der Polizei und seines nächsten Opfers, die ihn an der Tat hindern könnte.
Sie hatte nichts zu ihrer Orientierung, kein Gesicht, keinen Namen. Irgendwann einmal würde es ihr gelingen, sich auf ihn zu konzentrieren, in Gedanken in seiner Nähe zu bleiben, und er würde einen Fehler machen, der ihr seine Identität verriete.
Ohne die Polizei konnte sie nichts ausrichten, und das bedeutete, auch mit Detektiv Hollister zusammenzuarbeiten. Zweifellos würde es eine unangenehme, schwierige Situation werden, doch hatte sie keine Wahl. Sie war gefangen in ihrer Rolle, und es gab keine Möglichkeit, sie zu verweigern.
7
Marlie hatte sich am nächsten Morgen gerade fertig angezogen, als es so laut an der Haustür klopfte, dass sie zusammenzuckte und dann alarmiert und verärgert die Stirn runzelte. Es bestand nicht der geringste Zweifel, wer vor ihrer Tür stand um halb acht Uhr morgens, dafür brauchte man keine Sehergabe.
Die beste Art, mit ihm fertig zu werden, war, ihm nicht zu zeigen, wie sie auf ihn reagierte. Ihre Wut würde er als Schwäche auslegen, und der Himmel helfe ihr, wenn sie ihm etwas von der zweischneidigen Anziehungskraft verriet, die sie fühlte. Er war viel zu aggressiv, um sich eine solche Gelegenheit entgehen zu lassen.
Sie hatte nicht die Absicht, ihn hereinzubitten. Die Bank öffnete pünktlich, und wegen ihm wollte sie nicht zu spät kommen. Sie nahm ihre Tasche samt Schlüsseln und ging zur Tür. Als sie öffnete, stand er so dicht vor ihr, dass sie ihn beinahe anrempelte. Mit einem Arm hatte er sich in den Türrahmen gestützt, die andere Hand hielt er hoch, weil er gerade noch einmal klopfen wollte.
Seine Nähe nahm ihr den Atem, was sie kaschierte, indem sie sich an ihm vorbeiquetschte und sich dann umwandte, um die Tür hinter sich abzuschließen. Leider rückte er nicht zur Seite, und sie stieß gegen seinen harten, muskulösen Körper. Sie lag praktisch in seinen Armen, er brauchte sie nur um sie zu schließen, und sie wäre gefangen.
Grimmig
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