Sueße Prophezeiung
er seinen Leib drehte, bevor er wieder auf der Vorderhand herunterkam. Marcus befand sich nun genau zwischen den mächtigen Beinen. Ehe das Pferd erneut steigen konnte, war sie bei ihm. Nur eine ihrer Hände schien ihren Dienst zu tun, doch das reichte. Mit den Fingern kniff sie ihn in die Oberlippe und brachte seinen inneren Schmerz zum Verklingen, bis das Weiße in seinen Augen verschwand und sein Blick wieder normal wurde.
Danke, dachte sie und wusste nicht, ob sie damit das Pferd, Gott oder beide meinte.
Der Zauberer und ein paar seiner Leute zogen Marcus von der Stelle, wo er lag, und schleppten ihn an den Wegesrand. Jemand kam dorthin, wo sie und das Tier Auge in Auge standen. Jetzt war alles in Ordnung. Der Hengst hatte sich beruhigt.
Sie wusste nicht, was der rothaarige, bärtige Mann zu ihr sagte, während er die Zügel von dem Ast löste. Er wollte irgendetwas, redete auf sie ein. Schließlich ließ sie das Pferd los und schüttelte den Kopf, während sie auf eins ihrer Ohren klopfte, um ihm zu bedeuten, dass sie nichts hörte.
Verstehend hielt der Mann inne. Er drehte ihr den Rücken zu und wandte sich an die anderen. Der Zauberer näherte sich Avalon und bedachte sie mit einem feinsinnigeren Ausdruck als einem Lächeln. Sie folgte ihm zum Wegesrand unter den Schutz einer Kiefer.
Marcus war bei Bewusstsein und saß. Er versuchte aufzustehen, als sie sich näherte, und sie warf ihm einen empörten Blick zu.
Ihre Rippen schmerzten teuflisch. Das hatte sie gerade erst bemerkt. Die Schulter, auf der sie gelandet war, fühlte sich so an, als sei sie aus dem Gelenk gesprungen. Sie konnte den Arm nicht benutzen. Von Kopf bis Fuß war sie mit Blättern und Dreck bedeckt. Der Tartan hing nass und unordentlich an ihr herunter. Und das war alles seine Schuld. Wenn er nicht befohlen hätte, bei diesem Sturm weiterzureiten, wäre sie jetzt vielleicht trocken, in der Wärme und ohne Schmerzen.
Davon abgesehen – wenn er sie gar nicht erst entführt hätte, würden sich ihre Träume vom Leben vielleicht mittlerweile erfüllt haben. In diesem Moment säße sie in einer dunklen Zelle, die Nonnen vorbehalten war. Sauber und glücklich würde sie ihrem Schöpfer danken und Pläne für die Zukunft schmieden. Eigentlich, wenn er überhaupt nicht von seinem Kreuzzug zurückgekehrt wäre, dann ...
Alles, wirklich alles, war seine Schuld! Sie hatte keine Ahnung, warum sie sich die Mühe gemacht hatte, ihn zu retten.
Marcus stöhnte, als er mühsam zu ihr humpelte. Beide mussten sich unter den Zweigen leicht nach vorn beugen. Er versuchte, ihre Hand zu nehmen, und sie zuckte vor ihm zurück. Doch hatte sie wohl einen Laut von sich gegeben, als der Schmerz durch ihren Körper schoss. Marcus runzelte die Stirn, und Balthazar war an ihrer Schulter, die er mit sanften Fingern untersuchte.
Sie ließ es zu. Aber dann sagte er etwas zu Marcus und den Kameraden, die herbeigekommen und sich dicht neben sie gestellt hatten. Aus weiter Ferne hörte sie seine Worte. Es schien, als stünde er am Ende eines langen Tunnels und sie am anderen.
»... ausgekugelt. Sie muss wieder eingerenkt werden.«
Wie ein Raunen gingen Mitleid, Vorsatz und Entschlossenheit durch die Menge. Sie dachten, dass sie sich wehren würde, und sie hatten Recht damit. Der Zauberer berührte sie wieder, aber sie schüttelte ihn ab. Avalon kämpfte die Welle von Übelkeit nieder, die bei dieser Bewegung in ihr aufstieg. Sie tat einen Schritt nach hinten, aber die Recken standen auch dort, und sie hatte nur noch einen heilen Arm.
Marcus stellte sich direkt vor sie. Er formte seine Worte klar und deutlich, damit sie sie ihm von seinen Lippen ablesen konnte.
»Es muss getan werden. Tut mir Leid!«
»Fasst mich nicht an«, wehrte sie ihn ab und hörte ihre eigenen Worte in diesem Tunnel.
Sein Blick richtete sich auf jemanden hinter ihr, und sie merkte, dass sie von beiden Seiten gepackt wurde. Der Schmerz durchzuckte sie von der Schulter bis zu den Rippen und ließ sie schwach werden.
Marcus legte eine Hand um ihre verletzte Schulter und die andere auf ihren Arm. Nach einem schnellen, kalten Blick in ihr Gesicht begann er zu ziehen.
Schwarze Punkte explodierten vor ihren Augen und ihre Beine gaben nach. Aber er verminderte seine Anstrengungen nicht, sondern intensivierte den Druck sogar. Avalon biss sich auf die Lippen, um nicht zu schreien, bis sie spürte, dass Blut aus ihrem Mund rann. Dann gab es ein widerliches Knacken, und sie versank ins Bodenlose. Als
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