Sueße Prophezeiung
Gefahr, die archaische Bedrohung, die dunkler und dunkler zu schwärzestem Groll anschwoll. Das Gefühl ließ ihr Herz rasen und ihr Atem kam kalt und stoßweise.
So konnte sie ihn nicht sterben lassen – nicht dafür. Nicht ihretwegen.
Avalon heuchelte Gelassenheit, zog ihren Arm aus der Schlinge, streckte ihn und tat gelangweilt. Ihre Schulter schrie vor Schmerz. Doch sie nahm das orangefarbene Tuch und ließ es, stolz auf die fließende Bewegung, zu Boden fallen.
»Mir geht es gut«, versicherte sie den Männern.
»Lady Avalon«, sprach nun der ältere Botschafter des Papstes. »Uns wurde gesagt, Ihr seid gewaltsam entführt und gegen Euren Willen hierher gebracht worden. Stimmt das?«
»Ja«, bestätigte sie nach einer kürzeren Pause.
»Warner d’Farouche hat sich mit einer offiziellen Beschwerde an die Kirche gewandt. Er behauptet, er hätte schon vorher eine Vereinbarung mit Euch getroffen. Stimmt das auch?«
»Vorher?« Diesmal zögerte sie länger und suchte nach einer vernünftigen Antwort.
Marcus drehte sich zu ihr um. Trotz ihrer äußeren Gelassenheit erwiderte sie seinen Blick mit Bangen. Die Schlange war nahe daran, sich zu erheben.
Vielleicht begannen auch die Männer, die Gefahr zu spüren. Der päpstliche Würdenträger hub wieder zu sprechen an.
»Wir werden uns jetzt allein mit Euch unterhalten, Mylady.«
»Nein«, zischte die Schlange drohend.
»Wir werden uns mit der Lady allein unterhalten, Mylord!« Unklugerweise beharrte Henrys Mann darauf.
Innerhalb des Bruchteils einer Sekunde legte sie ihre Hand auf seinen Arm, doch es war schon fast zu spät. Sie spürte die Anspannung seiner Muskeln, die bereit waren loszuschlagen. Er strahlte tödliche Entschlossenheit aus.
»Mylord«, sagte sie, und über ihren Geist vermittelte sie ihm ihre Gedanken.
Das unterbrach seine Konzentration für die Sekunde, die sie brauchte. Seine hellen Augen flogen wieder zu ihr und zeigten für einen Moment Unsicherheit.
»Ich wähle nun etwas als Gunstbeweis, Mylord«, verkündete sie ruhig.
Die Schlange schwankte, geschwächt durch ihre Forderung. Avalon nutzte ihren Vorteil und redete auf den Mann ein, der ihr, wie sie wusste, aufmerksam zuhörte. »Ihr sagtet, Ihr würdet mir eine Gunst gewähren.«
Die anderen Männer schwiegen. Alle beobachteten die Szene wie gebannt.
»Es ist nicht viel, worum ich bitte.« Avalon schaute um sich auf der Suche nach einer Eingebung, die sie in der Gestalt des Zauberers fand, der in der Nähe der Tür stand. »Lasst ihn hier bei mir, wenn Ihr meinen Aussagen nicht traut!« Sie nickte Balthazar zu und wandte sich dann wieder an die Exzellenzen. »Sicherlich sind alle damit einverstanden, nicht wahr, meine Herren?«
»Ja.« Zum ersten Mal ergriff Malcolms Mann das Wort. Sein Blick über den Tisch forderte die anderen heraus. »Das sind wir.«
Marcus rührte sich erst, als Bal neben ihn trat und ehrerbietig seine einzigartige Verbeugung mit den an den Kopf gelegten Händen vollführte. Der Laird hatte die Hände zu Fäusten geballt und blickte auf ihn hinunter.
Bal sagte irgendetwas in einer fremden Sprache, deren Silben alle ineinander übergingen. Daraufhin drehte Marcus sich zu den Männern um und nickte steif zum Abschied.
Avalon nahm an, dass es jetzt besser gehen würde. Die Schlange hatte sie beruhigen können, und Besonnenheit würde wieder die Führung übernehmen. Das nächste Mal, wenn sie ihn sähe, wäre Marcus ganz der Alte. Sie spürte, wie ihr Körper sich allmählich wieder entspannte.
»Was für einer seid Ihr überhaupt?«, verlangte einer der Kirchenmänner zu wissen, der Balthazars Tätowierungen und seine gebräunte Haut registriert hatte.
»Nur ein Diener, Euer Gnaden, aus dem Heiligen Land«, erwiderte der Zauberer, und Avalon fragte sich, ob ihnen der Widerspruch in seinen Worten nicht auffiel.
Doch das tat es nicht. Der Mann verwies Balthazar mit einer herrischen Geste in eine Ecke.
»Vom Kreuzzug des Kincardine«, erläuterte sein Begleiter, und die Abgesandten der Könige gaben mit ihren Blicken zu verstehen, dass sie verstanden hatten.
Der Zauberer verbeugte sich abermals, zog sich zurück und verschmolz mit den Schatten des Raumes.
»Lady Avalon«, begann der ältere Kirchenmann, derjenige, der die königliche Abkunft des Zauberers nicht erkannt hatte. »Eure Cousins, Lord d’Farouche und sein Bruder Warner d’Farouche, haben bei den Majestäten von England und Schottland sowie Seiner Heiligkeit, dem Papst, Klage
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