Süsse Sehnsucht Tod
umzuckten Iris in Form von Licht, das mit grünlicher und manchmal blaßblauer Farbe einen irrsinnigen Tanz aufführte.
Alles war so anders geworden, trotz der gleichen Umgebung. Iris fühlte sich wohl. Die Beklemmung war verschwunden. Da ging es sich leicht, und auch später kam ihr niemand entgegen. Unbehelligt ließ sie Etage für Etage hinter sich.
Dabei kam sie sich vor wie in einem riesigen Meer schwimmend, von den Wellen getragen.
Es war einfach herrlich, sich auf die Zukunft zu freuen und den Körper abstoßen zu können. Iris hatte ihn nie gehaßt, sie war mit sich zufrieden gewesen, nun empfand sie ihn einfach als Ballast oder als Barriere, die sie vom endgültigen Glück trennte.
Man hätte sie auch als eine Schlafwandlerin bezeichnen können, denn in ihrem Gesicht bewegte sich so gut wie nichts, und die Kraft hielt noch an. Iris spürte keinen Verschleiß. Ihre Muskeln arbeiteten normal. Leicht und locker ging sie weiter, dabei immer höher.
Wo lag das Jenseits? Oben? Um sie herum? Iris konnte sich keine Antwort geben, aber die Sehnsucht, endlich diesen Bereich zu erreichen, wuchs weiter.
Die letzte Etage.
Iris sah eine Tür. Fest, grau gestrichen, aus Stahl. Mit roter, schon leicht abgeblätterter Farbe stand da das Wort DANGER geschrieben.
Iris lächelte. Das mußte es sein.
Aus ihrem Mund drang ein Seufzen. Das Gesicht zeigte einen entrückten Ausdruck. Um die Lippen herum lag ein freudiges, aber auch etwas verlorenes Lächeln, als würde sie dem Leben nachtrauern, das bald hinter ihr liegen würde.
Sie ging auf die Tür zu.
Ich schwebe, dachte sie. Es ist alles so leicht, als würde sich der Körper schon von der Seele trennen. Sie wollte nicht an ein Wunder glauben, aber sie war gedanklich auch nicht weit davon entfernt. Und das Lächeln blieb auf ihrem Gesicht, als sie mit der rechten Hand den dunklen Metallknauf der Tür umfaßte und ihn drehte.
Offen – zu?
Die Tür war offen. Iris mußte sich allerdings anstrengen, um sie so weit zu öffnen, daß sie hindurch und ins Freie treten konnte. Sie drängte sich durch den Spalt – und wurde bereits von der ersten Windbö erfaßt, mit der sie nicht gerechnet hatte. So raubte ihr der Windstoß für einen Moment den Atem.
Iris wartete ab, ging langsamer und sah sich auf einer recht schmalen, eisernen und durch Gitter geschützten Plattform hoch über dem Erdboden.
Auf der Plattform drehte sie sich. Ihre Haare wurden so aufgewühlt, als wollte sie ihr der Wind vom Kopf reißen. Vor sich sah sie die Leiter. Die führte noch wenige Meter höher, genau auf die Kante des Flachdachs zu.
Zwar hatte Iris eine Hand auf den rechten Haltegriff der eisernen Leiter gelegt, aber sie stieg die Sprossen noch nicht hoch, denn in ihrem Kopf hatte sich ein Gedanke festgesetzt. Die Frau überlegte, ob sie die restlichen Meter noch hochgehen sollte oder ob sie sich gleich von diesem Ort aus in die Tiefe stürzen sollte. Überleben würde sie so oder so nicht.
Die Sehnsucht war da. Sie brannte in ihr. Ein süßes Feuer, das immer stärker loderte.
Aber Iris Cramer entschied sich dagegen. Sie wollte auf das Dach, denn nur dort konnte sie sich ihren wahren Traum vom »Davonfliegen« erfüllen. Sie wollte noch den Blick über die Stadt als letzte Erinnerung genießen, denn hier war sie doch etwas eingeschränkt.
Iris nickte sich selbst zu. Mit beiden Händen umfaßte sie die seitlichen Haltegriffe der Metalleiter. Die Leiter war fest im Mauerwerk verankert und schwankte auch nicht unter dem Gewicht der Frau. Stufe für Stufe kletterte sie weiter. Den Kopf hatte sie in den Nacken gelegt, denn sie wollte den Himmel über der Stadt sehen.
War es ein besonderer Himmel?
Im Moment konnte sie es nicht sagen, nur nahm sie ihn einfach anders auf als sonst.
Iris ging weiter. Sie fühlte sich gut. Die große Sehnsucht drängte sich dabei immer weiter vor. Aber Iris freute sich auf den Sprung. Sie freute sich auch darauf, vom Wind gepackt und erst einmal weggetrieben zu werden, denn so konnte sie das Gefühl des Fliegens noch länger genießen. Die letzte Stufe!
Iris blieb nicht stehen. Sie duckte sich, als sie ihr Bein anhob und auch dieses Hindernis überwand. Jetzt stand sie auf dem Dach!
Von der rechten Seite her wuchtete eine Bö heran und packte sie so stark, daß sie ein Stück zur Seite taumelte und dabei fast gestürzt wäre.
Der Wind war kraftvoll. Iris hörte ihn auch, denn er tobte in ihren Ohren.
Aber er wehte nicht permanent, legte Pausen ein, um sich
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