Sueße Verfuehrung an der Cote d'Azur
sie den Blick nicht von ihm lassen. Obwohl sie sich auch gern die Landschaft angeschaut hätte, übte der Mann doch die größere Faszination auf sie aus. Wie zum Greifen nah er doch war. Sie spürte ihn mit jeder Faser ihres Körpers.
Irgendwann fuhr er von der Autobahn ab, nahm Landstraßen, die an weitläufigen Äckern vorbeiführten, dann an kleineren Feldern und Steinwällen. Bald wand sich der Weg hoch zu einem Dorf, das am Berghang lag. Die Steinwälle links und rechts des Weges wurden höher. Sie passierten alte mehrstöckige Häuser aus Naturstein mit Fensterläden, die Fenstersimse voller blühender Geranien. Hoch und höher führte sie der Weg, nun gesäumt von Schatten spendenden Säulenzypressen, die jenseits der Steinwälle standen.
„Wir sind da“, sagte Alessandro plötzlich und trat auf die Bremse.
Sie standen vor einem großen schmiedeeisernen Tor. Michelle erinnerte es an den Eingang zu einem Friedhof. Entmutigt ließ sie sich zurück in die Polster sinken. Doch als es sich automatisch öffnete und sie es passiert hatten, empfing sie eine breite lange Auffahrt, an deren Seiten Limonenbäume wuchsen. Dahinter breiteten sich sanft gewellte Weinberge aus. Am Anfang jeder Pflanzenreihe stand ein üppig blühender Rosenstock.
„Oh, ist das schön. Wunderschön“, flüsterte sie. „Sieh mal, die Weinblätter färben sich schon rot.“
„Ja“, sagte Alessandro und schaute sich um, als sähe er das Schauspiel zum ersten Mal. „In den Nächten wird es schon kühl, und die Sonne steht nicht mehr so hoch am Himmel.“
Michelle warf ihm einen raschen Seitenblick zu. Gehörte das alles zu seinem Besitz? Auch der Wald dort drüben talabwärts? Und die Zypressen und Pinien, die vor dem Horizont standen? Nun steuerte er auf einen großen Gebäudekomplex zu, der auf einem Felsrücken errichtet war. Die Nachmittagssonne übergoss seine Mauern und Dachziegel mit aprikotfarbenem Licht. Wie ein Palast kam er ihr vor.
Michelle schnappte nach Luft. „Um Himmels willen. Ist das dein Zuhause?“
„Zumindest wohne ich hier schon eine Weile. Beeindruckt es dich?“, fragte er erstaunt.
„Ja, sehr. Ich habe noch nie etwas Ähnliches gesehen. Du weißt doch, dass ich England nur einmal verlassen habe.“ Sie reckte den Hals und drehte sich in ihrem Sitz. „Gibt es hier auch ein Atelier, wie du es brauchst?“
Er schüttelte den Kopf. „Noch nicht. Es fällt mir schwer, mich von dem Gebäude zu trennen, in dem ich bisher gemalt habe. Du kannst es von hier aus sehen. Es liegt unten an dem Hügel dort unten. Dort bin ich vor Störungen sicher.“
Seine Antwort kränkte sie. Er wollte sie wieder mit der Nase darauf stoßen, dass er nicht vorhatte, sein Leben mit jemandem zu teilen.
„Ich gehe dorthin, wenn ich allein sein möchte. Wer viel mit Menschen zusammenarbeitet, braucht manchmal seine Ruhe.“
Der Wagen näherte sich dem großen Gebäude. Das ursprüngliche Wohnhaus musste über Jahrhunderte hinweg immer wieder erweitert worden sein. Daraus war ein Zusammenspiel verschiedener Baustile, Dächer, Balkone und Türme entstanden. Auf einem kopfsteingepflasterten Hof parkte Alessandro. Michelle entdeckte auf jedem der vielen Fenstersimse blühende Blumen. Doch freuen konnte sie sich jetzt nicht mehr daran.
„Wenn du hier allein sein möchtest, Alessandro, hättest du mich nicht herbringen sollen. Schon gar nicht gegen meinen Willen.“
Er antwortete nicht, sondern stieg aus, öffnete die Wagentür für sie und reichte ihr die Hand. Er beugte sich zu ihr hinunter, um ihr beim Aussteigen zu helfen. Seine Miene war verschlossen. Da fühlte sie wieder, wie unwichtig sie für ihn war.
Gleich darauf waren sie von Personal umringt, das sie begrüßte, den Kofferraum leerte und den Wagen in irgendeine Garage fuhr. Deutlicher hätte man ihr nicht demonstrieren können, in welch verschiedenen Welten Alessandro und sie lebten. Das alles war nicht leicht zu verkraften.
Kaum hatte sie ein paar Schritte auf dem Kopfsteinpflaster gemacht, blieb sie schon wieder stehen. „Es ist alles so groß hier.“
Ungeduldig nahm er sie bei der Hand und zog sie weiter. Der feste Griff gab ihr im ersten Moment neue Stärke, doch dann floss Wärme von seiner Hand in ihren Körper, und sie spürte ein beunruhigendes Kribbeln auf der Haut. Verwirrt schaute sie ihn an und versuchte, sich ihm zu entziehen. Doch er ließ sie nicht los.
„Du wirst dich schnell daran gewöhnen. Nun müssen wir essen. Ich zeige dir vorher deine
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