Sueße Verfuehrung an der Cote d'Azur
Stammsitz zurück. Irgendwann würden sie Geheimnisse voreinander haben und wahrscheinlich beginnen, einander zu belügen.
Doch was er ihr gerade gesagt hatte, überschritt das erträgliche Maß an Ehrlichkeit. Sie war verletzt. Wie sehr, wollte sie ihm aber nicht zeigen. Deshalb rang sie sich ein schiefes Lächeln ab.
Er nahm ihren Arm und führte sie wieder hinein. „Du musst dir noch etwas ansehen. Den Raum, den ein Italiener für den wichtigsten seines Hauses hält.“
Es war seine Küche, die er ihr zeigen wollte. Natürlich war sie geräumig, aber auch praktisch und geschmackvoll ausgestattet. Doch Michelle konnte sich nicht vorstellen, dass hier jemand kochte oder an dem schönen großen Tisch aß. Sie vermisste Töpfchen mit frischen Kräutern, Keksdosen, eine nicht weggeräumte Kanne, Topflappen. Irgendetwas, was selbst bei den ordentlichsten Menschen in der Küche herumstand oder -lag. Doch hier gab es nichts davon. Die Arbeitsflächen glänzten wie poliert. Die Schränke aus Kirschbaumholz kamen ihr wie Ausstellungsstücke vor. Diese Küche sah noch unbenutzter aus als die Musterküchen, die in Katalogen abgebildet waren.
Kein Wunder! Alessandro ließ sich von seinem Personal versorgen. Der Koch bereitete die Speisen in der weitaus größeren Küche im Erdgeschoss zu. Obwohl auch da alles blitzblank war, hingen dort Pfannen und Kellen griffbereit an Haken, standen Schalen mit Obst und Gemüse herum. Sie war Arbeitsplatz und Ruheraum während der Pausen, und das Hauspersonal aß wohl auch dort an dem langen alten Holztisch. In dieser Küche herrschte wenigstens Leben.
Und mit einem Mal wurde Michelle bewusst, was sie während des Rundgangs vermisst hatte: die Seele des Hauses. Der Castiglione-Villa fehlte die Seele. Hatte sich Alessandro deshalb als Kind in der alten Küche herumgetrieben? Und was versprach er sich von der neuen in seiner Suite, wenn ihm Zeit und Lust fehlten, darin zu kochen?
Traurig und nachdenklich folgte sie ihm zurück ins Empfangszimmer. Ihre Besichtigungstour war zu Ende. Er schaltete indirektes Licht an. Ihr wurde schwindelig. Sie presste die Fingerspitzen gegen die Schläfen.
Sofort eilte er zu ihr. „Fühlst du dich unwohl?“, fragte er besorgt.
„Nein. Ich spüre nur wieder, dass die Erde sich dreht. Gleich geht es vorüber.“
„Und was ist mit dem Baby?“
Sie hörte den Vorwurf in seiner Stimme und biss sich auf die Unterlippe. Mutete sie dem Kind wirklich zu viel zu? Anders als mit Anstrengung und Kraftaufwand hätte sie die schweren einsamen Wochen ihrer Schwangerschaft nicht überstanden. Schonung und Selbstmitleid hatte sie sich schon immer versagen müssen. Wie sollte ein so privilegierter Mann wie Alessandro das verstehen?
„Es ist keine Krankheit, schwanger zu sein. Der Arzt hat gesagt, ich solle so weiterleben wie bisher.“
Davon ließ er sich nicht beeindrucken. „Das ist die Auffassung deines Arztes. Doch ab jetzt wird dich mein Arzt begleiten. Ich werde ihn gleich morgen anrufen.“ Er deutete auf einen Sessel. „Setz dich hin und erhol dich. Deine Zimmer erreichst du nicht mit ein paar Schritten. Sie liegen auf der anderen Seite des Hauses.“
„Gut, ich ruhe mich ein paar Minuten aus. Hättest du irgendetwas zu trinken für mich?“
„Selbstverständlich.“
Er brachte sie zu einem der bequemen Sessel. Sobald sie sich niedergelassen hatte, kniete er sich vor den großen alten Kamin und begann, ihn zu befeuern. Michelle sah ihm dabei zu. Ihr war es regelmäßig misslungen, wenn sie es versucht hatte. Doch hier waren Papier, Späne und Scheite schon in der richtigen Weise angeordnet.
„Wenn du keinen Kaffee verträgst, was willst du dann trinken?“, fragte er, während die Flammen aufloderten.
„Ein Glas stilles Wasser vielleicht.“
„Wie wär’s mit etwas Heißem? Das wird dir guttun an so einem kühlen Abend.“ Er setzte sich auf die Hacken zurück.
„In Frankreich habe ich mich oft nach einer guten Tasse Tee gesehnt. Aber die gibt es wohl nur in England.“
„Und in der Villa Castiglione.“ Er stand auf und schaute eine Weile in das gefräßige Feuer. „Ich habe das Teetrinken während meiner Schulzeit in England zu schätzen gelernt.“ Er lachte auf. „Mir blieb auch gar nichts anderes übrig. Denn wer keinen Tee trank, musste durstig bleiben. Welche Mischung bevorzugst du?“
Obwohl sie müde und überreizt war, trieb sie der Übermut. „Supermarkt Spezialmischung.“
„Schade, ausgerechnet mit der kann ich nicht
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