Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman
ermutigend so lang an, bis die alte Dame endlich gute Miene zum bösen Spiel machte; Eck aber blieb wie versteinert. Sie rang sich für ihren Verlobten, der ihr auch nur einen kurzen, schmerzerfüllten Blick zuwarf, kein Lächeln ab.
Zusammen mit den drei Italienern wurde er von einer neugierigen Menge bestürmt, zu der sich sogar Herzog Ludwig gesellte. Der Küchenmeister Kärgl und seine deutschen Köche, Eck, Sabina und Anna Lucretia konnten lediglich stumm warten. Nur Wortfetzen hörten sie; die Italiener gaben detailliert Auskunft. Ja, alle Rüben, sogar die bescheidensten, taugten zur Weckung und Erhaltung von Leidenschaft allein ihrer Form wegen, gerade im Winter. Am besten seien natürlich die würzigeren, sprich die Sellerieknolle, der Meerrettich sowie die Petersilien- und Kerbelwurzeln. Kredenzte man diese ›im Harnisch‹, von goldenem, fetten Käse ummantelt, schmeckten sie noch dazu vorzüglich; noch feiner nur auf einem Bett aus Winterkresse oder Moschusmalve. Verschmähen sollte man auch die armseligen Zwiebeln nicht. In geringen Mengen verzehrt, steigerten sie das Verlangen und verstärkten seine Befriedigung mit wohltuend lustvoller Feuchtigkeit. Wunder wirkte ebenso die stachelige Blume einer großen Distelart, genannt Artischocke. Die war im milden Italien allgegenwärtig, im rauen Bayern leider aber unmöglich anzubauen. Doch verzichtete die italienische Bautruppe keinesfalls auf diese stimulierende Köstlichkeit. Denn das dicke Herz der Blume ließ sich problemlos trocknen und bei Bedarf wieder einweichen. Es schmeckte dann wie frisch, wirkte genauso und ja, Signor Soldani besaß genug Reserven davon, um bis zum Frühling jeden der Anwesenden damit zu verköstigen. Übrigens: nicht nur Stacheliges, Würziges oder Wurzelartiges belebte die Liebesgeister. Das vermochte auch jedes samenartige Lebensmittel, wie die Spiegelgesetze der Schöpfung es lehrten, von den groben dicken Bohnen oder Kichererbsen bis zu den edlen Kernen der Pinien. Die Frageflut riss nicht ab. Joris Kärgl bat Sabina, sich mit seinen Köchen zurückziehen zu dürfen. Die Herzogin ließ ihn gehen.
»Morgen besprechen wir mit diesem Soldani den Speiseplan. Ich erscheine schon früh in der Küche. Komm, Kind«, sie wandte sich an Anna Lucretia, »wir haben hier nichts mehr zu suchen.«
Nichts mehr zu suchen? Anna Lucretia rebellierte innerlich. Gehen wie ein trotziges Kind, ohne mit Johann Albrecht einen letzten Blick ausgetauscht zu haben? Warum und wofür wusste sie selbst nicht so genau. Um nicht mit ihrer Wut und ihren Fragen allein zu bleiben? Sie versuchte vergeblich, Sabinas Griff nach ihrer Hand abzuschütteln.
»Tante, wir können doch Doktor Eck nicht allein lassen.«
Die Herzogin war verblüfft, doch ließ sie sich nicht beeindrucken. Sie drehte sich zu Eck und deutete eine Verbeugung an.
»Herr Hofrat, Ihr verzeiht, ich werde müde, spüre die Kälte in den Knochen. Ich ziehe mich für heute Abend zurück. Wir wünschen eine gesegnete Nachtruhe.«
Der hagere Mann schien, ungewöhnlich für ihn, aus einem tiefen Traum aufzuwachen.
»Ja? Oh, selbstverständlich, Ihro Durchlaucht. Wenn Ihr erlaubt, werde ich jeden Tag aus meinen Kehlheimer Gütern Forellen und klaren Wein für die herzogliche Tafel liefern lassen. Eine gute Nacht, Ihro Durchlaucht.«
Anna Lucretias Hand war nun frei. Ohne Sabina anzusehen, machte sie vor Eck einen tiefen Knicks.
»Wenn Ihr erlaubt, Herr Hofrat: Ich würde mich freuen, Euch noch etwas länger Gesellschaft zu leisten.«
Er sah sehr wohl die Herausforderung in ihren Augen und zögerte – für seine Verhältnisse – bemerkenswert lang.
»Für Eure Freundlichkeit bin ich Euch verbunden, Fräulein von Leonsperg, aber ich werde mich jetzt auch zurückziehen. Morgen muss ich nach München reiten. Eine erholsame Nachtruhe wünsche ich Euch.«
Es gab kein Entkommen. Sabina ergriff schmerzlich ihre Hand und zog Anna Lucretia fort. Um Johann Albrecht und die Italiener tobte es weiter. Sie sah nur noch, wie Eck in seinem schwarzen Talar durch die Laufgangstür verschwand.
7
Ursula von Weichs fand in ihrem Stadthaus keine Ruhe. Seit Ludwigs Zusammenbruch und dem Streit in der Stadtresidenz hatte sie ihren Geliebten nicht mehr gesehen. Nur durch ihren Bruder, den persönlichen Sekretär Weißenfelders, wusste sie von den undurchsichtigen Ereignissen auf der Trausnitz. Mit jedem Tag verfinsterten sich ihre Gedanken mehr. Ludwig rief sie nicht mehr zu sich, das war ihre einzige
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