Sumerki - Daemmerung Roman
ungeduldig ab.
»Warum haben Sie nicht zugegeben, dass Sie wissen, woran Ihre Nachbarin gestorben ist? Sind Sie sich bewusst, dass Sie sich damit zum Hauptverdächtigen machen?«
»Ich? Aber Sie haben doch selbst gesehen, dass man mich auch angegriffen hat«, stammelte ich verwirrt. »Mehr noch, der Überfall galt eigentlich mir … Der Jaguar … eigentlich ist er ein Tiermensch …«
»Was erzählen Sie denn immerzu von diesem Jaguar?«, warf er verärgert ein. »Sie haben wahrscheinlich neulich unser Gespräch im Treppenhaus mit angehört und greifen jetzt nach dem letzten Strohhalm, was? Warum haben Sie uns die Hauptsache verschwiegen?«
»Die Hauptsache?«
»Sie wussten doch von Anfang an genau, dass sich der ganze Fall um Ihre Arbeit dreht!«
»Aber woher …«
Daraufhin öffnete er mit der Bewegung eines Metzgers, der einem Ferkel den Bauch aufreißt, seine Aktentasche, fuhr mit der Hand in ihr Inneres und riss einen Wust blutbespritzter Papierseiten heraus.
»Erkennen Sie das?«
Ich erkannte sie sofort: Es waren die ersten von mir übersetzten Kapitel des Tagebuchs - mein persönlicher Durchschlag, den ich in einem Anfall von Verzagtheit neben den
Müllschlucker gelegt hatte und der von dort entwendet worden war. Aber woher hatte ihn der Major?
»Diese Blätter haben Sie doch Ihrer Nachbarin zum Lesen gegeben, nicht wahr? Sehen Sie mich nicht so an. Die Handschrift der Randbemerkungen ist identisch mit der in Ihren Beschwerdebriefen an die Hausverwaltung. Oder stammen diese Denunzierungen etwa auch aus der Feder eines Golems?« Er verzog das Gesicht zu einem hämischen Grinsen.
Ich versuchte vergeblich, eins und eins zusammenzuzählen. »Die waren bei der Nachbarin?«
Nabattschikow wedelte mit den Blättern vor meiner Nase herum. »Den Wert Ihrer Exerzitien hat die Dame offenbar nicht erkannt und sie deshalb einfach zu ihren alten Zeitungen auf den Schrank gelegt. Der Mörder ist vermutlich gar nicht auf die Idee gekommen, dort danach zu suchen.«
»Ich schwöre Ihnen, ich hätte niemals … Unser Verhältnis war überhaupt nicht so, dass ich …«
Ich brachte den Satz nicht zu Ende, denn meine Gedanken liefen bereits in eine ganz andere Richtung. Die arme Serafima Antonowna. Ich hatte den Diebstahl meiner Übersetzungen Dämonen und Gestaltwandlern in die Schuhe geschoben, und nun stellte sich heraus, dass meine neugierige Nachbarin dafür verantwortlich war. Also war ihr furchtbarer Tod in der Erdbebennacht doch kein Zufall? Sie waren gezielt zu ihr gekommen, genauso wie zu dem Mitarbeiter des ersten Übersetzungsbüros. Wie zu mir?
Der Major nahm, ohne zu fragen, meine Gedanken auf.
»Uns wären diese Papiere wohl kaum aufgefallen, wäre da nicht zuvor ein gewisser Semjonow, ehemals Mitarbeiter des Büros Asbuka auf verdächtige Weise verschwunden. Die Methode ist identisch, man muss kein Genie sein, um die beiden Morde miteinander in Verbindung zu bringen. Von diesem Semjonow sind allerdings nur fünf Liter Blut übrig geblieben, ungleichmäßig verteilt auf zwanzig Quadratmetern Bürofläche. Welch eigenartiger Zufall: Derselbe Semjonow hat, wie wir aus dem Auftragsbuch der Firma wissen, Übersetzungen von Ihnen aus dem Spanischen entgegengenommen.«
Ich hatte nur noch die Kraft, zum Takt seiner Ausführungen zu nicken.
»Und heute Nacht, das Neujahrsläuten ist nur wenige Minuten alt, muss ich Familie und Freunde verlassen, um nach Bibirewo zu fahren, weil dort auf dem Dach einer Neubauanlage eine Gruppe Unbekannter einigen anderen Unbekannten den Brustkorb geöffnet, das Herz herausgerissen und den Kopf abgeschlagen hat. Ich sag Ihnen: So viel Blut hab ich lange nicht mehr gesehen.« Er hielt inne, um sich an meiner Furcht und meinem Ekel zu weiden, mit demselben bösen Gesichtsausdruck, mit dem Kinder die Qualen der von ihnen gefolterten Insekten beobachten.
»Und was finden wir am Tatort?«, hob er dramatisch an, nachdem er sich überzeugt hatte, dass er den gewünschten Effekt erzielt hatte. »Die Fortsetzung Ihres Werks, Dmitri Alexejewitsch. Sowie einige noch weniger verständliche Aufzeichnungen über das nahende Ende der Welt.«
»Was für eine Fortsetzung?«, fragte ich entgeistert.
»Einen Augenblick …« Er fuhr erneut mit seiner Hand in die Tasche, kramte darin herum und holte weitere Seiten
heraus, ebenfalls voller Blutflecken. »Also … wo war das denn? Ah ja. ›… da sie die Zukunft der Maya und der ganzen Welt Jahrhundert um Jahrhundert enthülle und deren
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