Sumerki - Daemmerung Roman
hätte.
Dass Juan Nachi Cocom, als ich ihn nach den verborgenen Reichtümern ausfragte, mir antwortete, er wisse nichts von irgendwelchen Schätzen. Dass er sich aber weigerte, mir sämtliche geforderten Erklärungen zu geben, wodurch er mich Verdacht schöpfen ließ, all das Geschwätz von dem Schatz könne am Ende der Wahrheit entsprechen.
Dass ich, als ich über seine Worte und Taten nachsann, allmählich zu der Überzeugung gelangte, dass Nachi Cocom von den Schätzen weitaus mehr wusste, als er zu sagen wagte, und dass er womöglich fürchtete, uns zu diesem Schatz zu führen. Dass ich mich seines erhängten Kameraden entsann und in den Indio drang, ob sich Hernán González deswegen das Leben genommen habe, um zu verhindern, dass wir zu dem Gold gelangten und es zum Ruhme des Königs und der Kirche sowie zur eigenen Bereicherung verwendeten.
Dass der Wegführer widerspenstig blieb, obgleich ich ihm mit dem Schwert drohte, und beharrlich versicherte, ihn kümmerten weder Gold noch Edelsteine und er beabsichtige nicht, sein Leben in Gefahr zu bringen, weder für die Eroberung eines solchen Schatzes noch für dessen Verteidigung gegen die spanische Krone und die Kirche der Christen. Und dann, nach langem Zögern, das ich nicht zu unterbrechen wagte, da ich glaubte, er wolle mir etwas Wichtiges mitteilen, offenbarte mir jener Juan Nachi Cocom, ich sei im Irrtum, wenn ich glaube, das Halbblut González sei ein Sünder und Selbstmörder.
Dass er über den Tod des Hernán González weiter kein einziges Wort sagte. Dass ich Nachi Cocom nicht schlug, um die Wahrheit zu erfahren, aus Furcht, ich könne sein Vertrauen verlieren, das ich mir zu verdienen erhoffte, um meinen Auftrag erfüllen zu können.«
Mitunter kam mir dieses Tagebuch vor wie eine unendliche Treppe, die in einen tiefen, dunklen Keller führte. In jede Stufe waren Worte eingraviert, die einen Teil einer packenden Geschichte erzählten, und zwar so, dass man bei jedem neuen Kapitel von der eigenen Neugier gefangen genommen wurde. Die Lampe leuchtete aber nur einen einzigen Schritt voraus, und wollte man die Auflösung des Rebus von der vorherigen Stufe erfahren, so musste man erst eins weiter hinabsteigen. Der Aufbau des Spiels erschien fair: Die unteren Stufen beantworteten die Fragen der oberen. Doch jede Antwort war nur ein neues Rätsel, das sich nicht lösen ließ, ohne dass man einen weiteren Schritt nach unten machte. Die einzelnen Steinchen fügten sich allmählich zu einem Mosaik zusammen; immer mehr Teile wurden es, aber erst wenn man alle eingesammelt hatte, würde sich der Sinn des Bildes erschließen. Es galt weiterzugehen, immer weiter hinab, auch wenn der Eingang zu diesem Gewölbe schon nicht mehr zu sehen war. Niemand wusste, was ihn am Ende des Abstiegs erwartete, ja ob es überhaupt ein Ende gab. Es blieb nur eines: die nächste Stufe auf dem Weg abwärts zu beleuchten, die dortige Inschrift zu entziffern und vorsichtig den nächsten Schritt zu tun.
Nun, da ich die ersten drei Seiten verschlungen hatte, begriff ich, was in den vorherigen Kapiteln passiert war. Meine ursprüngliche Vermutung, es gehe um einen alten Schatz, verborgen in einem alten Tempel im Dschungel, war also noch nicht vom Tisch. Wahrscheinlich hatte der Autor des Berichts diese Möglichkeit selbst bereits in Betracht gezogen, sie aber erst im fünften Kapitel erwähnt - womöglich, weil seine Hypothese sich schon bald bestätigen sollte?
Ebenfalls wieder aufgenommen worden war der Faden von dem zweiten Wegführer, der sich erhängt hatte. Genauso wenig wie der Konquistador konnte ich wissen, ob Juan Nachi Cocom die Wahrheit gesagt hatte, als er Hernán González’ Selbstmord bestritt. Bei der ersten Lektüre hatte ich spontan vermutet, er habe diesen furchtbaren Preis gezahlt, um das Erbe seines Volkes vor dem Diebstahl zu bewahren. Was aber, wenn jemand González in Wahrheit einfach kaltblütig beseitigt hatte? Nur: Welchem vernünftig denkenden Mensch konnte es in den Sinn kommen, im Herzen der Selva einen Wegführer umzubringen?
Wenn ich mich richtig erinnerte, war im letzten Kapitel der zweite Offizier Vasco de Aguilar auf den armen González losgegangen. Der Erzähler hatte den Vorfall nur nebenbei erwähnt, doch mir genügte das. Bevor ich weiterlas, musste ich zu jenen Ereignissen zurückkehren.
Ich machte Licht im Zimmer (über der Entzifferung der ersten drei Seiten war es dunkel geworden), öffnete die Wohnungstür und betrat in meinen Schlappen
Weitere Kostenlose Bücher