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Sumerki - Daemmerung Roman

Titel: Sumerki - Daemmerung Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dmitry Glukhovsky
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in Pakistan hat nach unbestätigten Angaben etwa 130.000 Menschenleben gekostet. Der Präsident hat den Ausnahmezustand verhängt. Die Bergregionen des Landes sind völlig zerstört. Die Anzahl der Opfer in den Städten und Dörfern, die durch die Katastrophe von der Außenwelt abgeschnitten sind, ist bisher nicht bekannt …«
     
    Die Stimme des Sprechers klang nüchtern und professionell, mit einem wohldosierten Unterton von Besorgnis: Man hörte deutlich, dass diese 130.000 Tote ihm nicht wirklich nahegingen. Wer in einer Nachrichtenredaktion arbeitet, ist wahrscheinlich nicht weniger an Leichen gewöhnt als ein Pathologe - schließlich beginnt heute so gut wie jede Sendung mit einer Katastrophe, einem Krieg oder einem Terroranschlag. Allerdings muss der Journalist die Leichen nicht aus der Nähe betrachten, dafür sind es aber umso mehr. Hundertdreißigtausend... eine so große Zahl war für mich völlig unvorstellbar, sowohl von lebenden Menschen und erst recht von toten. All diese Opfer waren für mich genauso abstrakt wie für den Moderator: Nur mit Mühe stellte ich mir zerstörte pakistanische Dörfer vor, überfüllte Krankenhäuser, Hunderte von Leichen aufgereiht, Wolken aus
fetten Schmeißfliegen … Wozu auch? Es war einfacher, meinen eigenen Gedanken nachzuhängen, während der Moderator mit einschläfernder, monotoner Stimme die schweren Folgen des Erdbebens beschrieb.
    Dieses Jahr ist reich an Katastrophen, dachte ich. Erdbeben, Überschwemmungen und Orkane lösten sich in den Abendnachrichten ab und wetteiferten um die Titelseiten der Zeitungen. Asien, das von den Naturgewalten besonders heimgesucht worden war, stand ständig bei der UNO auf der Schwelle, um humanitäre Hilfsgüter und kurzfristige Finanzspritzen zu beantragen. Die »Ärzte ohne Grenzen« und Hilfsorganisationen aus verschiedenen Ländern, die stets unter irgendeinem karitativen Vorwand an sämtliche Krisenherde der Welt geschickt wurden, zerrissen sich förmlich zwischen Lateinamerika, dem Nahen Osten, der Karibik und Indonesien. Europa war mit dem eigenen Haushaltsdefizit und der wirtschaftlichen Strukturkrise beschäftigt, und Wall Street hatte bereits sämtliche Sparschweine geschlachtet, um das Weiße Haus aus seinem jüngsten, spektakulären militärischen Abenteuer zu retten.
    Aber wahrscheinlich hatte es im Vorjahr nicht weniger Katastrophen gegeben. Bloß hatte ich damals nicht darauf geachtet, oder besser, nicht so oft Radio gehört.
    Ich machte den Empfänger leiser und horchte. Draußen war noch immer alles still. Ich zog ein Holzbrett hervor, säbelte ein paar große Kartoffeln in verschieden große Stücke, schnitt mit angehaltenem Atem eine Zwiebel klein, machte Feuer unter meiner Eisenpfanne, die verrußt war wie ein britischer Panzer bei el-Alamein, und erhitzte darin einen Löffel blasses Sonnenblumenöl. Während die Kartoffeln
vor sich hin zischten und spuckten, legte ich immer wieder den Pfannenwender hin, um argwöhnisch zur Wohnungstür zu schleichen und einen Blick durch den Spion zu werfen oder mich vorm Fenster herumzudrücken, für einen kurzen Augenblick die Lüftungsklappe zu öffnen und mein Ohr in den frostigen Luftzug zu halten, um nach einem Echo jenes satanischen Schreis zu lauschen.
    Die Kartoffeln hatten den Moment genutzt und waren angebrannt, wohingegen die Zwiebeln durch meine Unachtsamkeit obenauf gelandet und daher noch nicht durch waren. Dennoch spülte ich dieses ungenießbare Zeug, dem ich mich unter anderen Umständen niemals auch nur genähert hätte, mit kaltem, überzuckertem Tee herunter, und es schmeckte mir, wie den spanischen Matrosen jenes frische Wild- und Geflügelfleisch geschmeckt haben musste, das ihnen die gastfreundlichen, ahnungslosen Maya bei ihrer Ankunft in Yucatán anboten - nachdem sie monatelang von brackigem Wasser und bröseligem, mit Rattenkot vermischtem Schiffszwieback gelebt hatten. Ich hatte mich in den letzten Tagen fast ausschließlich von belegten Broten ernährt, doch nun konnte ich den verschrumpelten Kostromaer Käse und das leicht angeschimmelte Borodino-Brot nicht mehr sehen. Unter der Spüle - der heiligen Jungfrau Maria sei Dank - hatte sich noch ein Netz mit trockenen Zwiebeln und keimenden Kartoffeln gefunden. Ich wischte die Krümel vom Tisch und nahm mir fest vor, gleich morgen im nächstgelegenen Laden frische Lebensmittel zu kaufen, Wegzehrung für mindestens eine Woche. Wer wusste, wann ich das nächste Mal Gelegenheit dazu haben

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