SUMMER DAWN (Sommerdämmerung) (German Edition)
die Umgebung ungemütlicher, das Viertel hatte seine besten Zeiten definitiv hinter sich. Oder gar nie welche gehabt. Es roch nach Zerfall und Dreck. Müllsäcke stapelten sich in Hinterhöfen. Die Gebäude waren heruntergekommen, die Straßen seit Jahren nicht mehr ausgebessert worden. Verrostete Zäune standen schief in der Gegend. Kein Mensch war zu sehen.
Es ist noch sehr früher Morgen, so gesehen kein Wunder. Sozialhilfebezüger, Arbeitslose und Gangster gehören wohl eher nicht zu den Frühaufstehern.
Tony wurde sich mit einem Mal bewusst, dass er weder vom Leben der einen noch der anderen auch nur den Hauch einer Ahnung hatte. Um die Projects in seiner Heimatstadt hatte er stets einen Riesenbogen gemacht. Alles an dieser Gegend war ihm so fremd wie es nur ging. Jeder Papierschnipsel, jede zerfledderte Kartonkiste am Straßenrand sahen aus, als wollten sie ihm mitteilen: «Verpiss dich! Du gehörst hier nicht her!»
Das Navi zeigte einen verbleibende Distanz von 80 Metern zum Zielort an, abbiegen nach links. Vince drosselte das Tempo und ließ die Maschine im Joggingtempo in die Seitenstraße rollen.
An der besagten Stelle, welche gemäß Navi dem Zielort entsprach, erstreckte sich ein Maschendrahtzaun, der an einem Dutzend Stellen von grossen Löchern durchsetzt war. Das mittlere Drittel fehlte komplett, die Haltestangen waren niedergebogen, als ob jemand mit einem Panzer darübergerollt wäre.
Vince stoppte die Maschine.
Tony stieg ab. Niemand da.
Die umliegenden Gebäude wirkten verlassen. Rechts neben dem Grundstück befand sich eine Gebäudeleiche, welche kurz vor Fertigstellung des Beton-Rohbaus ihrem Schicksal überlassen worden war. Ein Teil der Baugerüste war noch da, Abdeckplanen flatterten in der leichten Brise.
«Lass die Maschine laufen, falls wir schnell hier weg müssen! Wenn ich in einer Viertelstunde nicht zurück bin, ist was schiefgelaufen. Dann musst du mich rausholen.»
Vince nickte und tippte sich mit zwei Fingern an den Helm.
Tony betrat das Grundstück durch die Lücke im Zaun. Der Boden war mit alten Betonplatten ausgelegt, dazwischen wucherten kümmerliche Grashalme. Einige abgeschliffene Grundmauerelemente zeugten davon, dass hier mal ein Gebäude gestanden hatte. Im Zentrum des Areals gab es eine Treppe, die unter den Boden führte.
Das wäre dann wohl der ehemalige Keller. Also wenn ich hier ein Paket hinterlegen wollte, wäre es da unten.
Tonys Herz schlug bis zum Hals. Er hatte keine Waffe dabei, und er hatte erst recht keine genaue Vorstellung, was da unten auf ihn warten würde.
Ich behalte den Helm auf. Man weiß ja nie. Falls wir schnell hier weg müssen, hab’ ich keine Zeit, um noch am Kopf rumzufummeln.
Tony näherte sich dem alten Treppenhaus, von dem nur der Gang nach unten übrig war. Blassgrüne Platten säumten die Wände neben den Stufen, viele davon waren heruntergeschlagen und zertrümmert worden. Die Fragmente lagen verstreut über die Treppe verteilt. Drumherum Schmierereien, Tags, ein unvollendetes Graffiti und der Gestank nach Urin. Unten war es dunkel.
Tony stieg hinab. Die Treppe führte auf eine Zwischenebene und rechts um die Ecke weiter hinab. Er blieb stehen und duckte sich, um nach unten zu blicken. Das schwache Licht, welches bis auf den Grund des halbfertigen Betonschachtes durchdrang, fiel auf einen trüben Tümpel von abgestandenem Regenwasser.
Tony fasste sich ein Herz und stieg hinab. Er kniff die Augen zusammen und schaute sich um. Der Raum erstreckte sich weit nach hinten. Tony schätzte dass sich das unterirdische Geschoss bis unter die benachbarten Gebäude erstreckte. Die Betonhöhle lag komplett im Dunkeln – bis auf das wenige Licht, welches in der Nähe der Treppe einen schwachen Lichtkegel bildete.
Eine Taschenlampe! Verdammt! Was gäbe ich jetzt für eine Taschenlampe!
Als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erblickte Tony auf der linken Seite im hinteren Teil des Kellers ein schwaches Licht. Ein Schacht vielleicht?
Tony schritt in die Dunkelheit und tastete sich vorsichtig zum Lichtkegel vor. Es kam ihm ewig vor. Er machte kleine Schrittchen und prüfte jeden Tritt, um nicht in irgend ein Loch oder ein Wasserbecken zu fallen. Sein Herz raste. Trotz der Kühle des modrigen Betonverlieses rann ihm der Schweiß in Strömen am Körper herunter. Er sah mit jedem Schritt besser in der Dunkelheit.
Noch 10 Schritte, dann hast du’s geschafft. Mal sehen, was da ist!
Ein schleifendes
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