Summer Sisters
sie, bevor sie auch nur »Hallo« gesagt hatte.
»Man lernt modeln. Alles, was dazugehört, stelle ich mir vor.«
»Was denn zum Beispiel?« Jos Mutter kam in einem knappen schwarzen Bikini und mit einem Strohhut auf dem Kopf auf die große Terrasse und Jo schaute schnell weg. Auf den Anblick von so viel Mutter hatte sie nicht die geringste Lust.
»Keine Ahnung. Mode, schminken, fotografieren, lauter solche Sachen.« Pollys Stimme war jetzt leiser. Je länger sie redete, desto unsicherer hörte sie sich an.
Jo atmete tief ein und aus.
»Tut mir leid, ich wollte nicht blöd klingen. Ich hab bloß nicht gewusst, dass es solche Kurse gibt.«
»Liegt es vielleicht daran, dass du mir modeln nicht zutraust?«
Jo hörte den bettelnden Unterton und zwang sich, ihren ersten Impuls zu unterdrücken. Bei Ama hätte sie ehrlich sein können. Genau! Du siehst überhaupt nicht wie ein Model aus! Ama war in der Beziehung hart im Nehmen. Andererseits, wenn sie tatsächlich mit Ama geredet hätte, hätte die ehrliche Antwort gelautet: Doch klar, das ist genau dein Ding!, weil Ama tatsächlich wie ein Model aussah. Aber Polly konnte sie nicht sagen, was sie wirklich dachte. Polly war in solchen Dingen nicht hart im Nehmen.
»Keine Ahnung. Ich versteh davon nichts.«
»Glaubst du, ich bin dafür nicht hübsch genug?«
Polly hörte sich so traurig und todernst an, dass Jo fast schwach geworden wäre.
Aber es lag nicht daran, dass Polly nicht hübsch genug war. Sie hatte einen großen Busen und eine Wespentaille. Sie hatte ausgeprägte Gesichtszüge, hohe Wangenknochen und einen großen Mund - ein Gesicht, an das man sich erst gewöhnen musste. Auf eine besondere Art war Polly sogar schön, aber
die meisten Leute merkten das wahrscheinlich nicht auf den ersten Blick.
»Polly, ich glaube, du bist eine Spätentwicklerin. In zwanzig Jahren bist du viel hübscher als diese Mädels mit den Modelgesichtern, da wette ich mit dir.«
Einen Augenblick lang war Polly still, und Jo hoffte schon, sie hätte sie überzeugt.
»Aber Jo, mit über dreißig kann man doch nicht mehr Model werden«, wandte Polly ein.
»Ich hab ja auch gar nicht gemeint, dass du Model werden sollst!« Jo biss sich auf die Unterlippe.
»Aber ich hab es so gemeint«, gab Polly zurück.
»Na gut, na gut. Also dann wünsch ich dir viel Spaß bei dem Kurs. Ich wollte ihn dir ja auch gar nicht ausreden.«
»Dann glaubst du also, dass ich Chancen hätte? Als Model?« »Klar«, sagte Jo müde. »Warum nicht?«
Es war eine kleine Kapitulation. Und wenn schon. Wenigstens konnte sie jetzt das Gespräch beenden.
Jo war fix und fertig. Der Anblick ihrer Mutter, die im Bikini zwei weiße Farbflecken vom Geländer abzuschrubben versuchte und dabei ihren frisch fettabgesaugten Bauch präsentierte, deprimierte sie. Genauso wie es sie deprimierte, dass Polly so optimistisch an Dinge heranging, die zum Scheitern verurteilt waren.
Und dazu gehörte auch ihre Freundschaft. Polly war überzeugt davon, dass sie für immer und ewig eng befreundet sein würden, aber Jo wünschte sich manchmal, dass alles ein bisschen lockerer würde.
Manchmal fühlte sich die Freundschaft mit Polly an, als wäre sie mit einer jüngeren Version von sich selbst befreundet, als wüsste sie, was gleich passieren würde und dass es nichts Gutes wäre.
Jo wollte vorwärtsgehen, aber Polly zerrte sie immer wieder zurück.
»Hey, Goldie!«
Nach ihrer Spätschicht verließ Jo das Surfside durch die Hintertür. An zwei Tischen in ihrem Bereich war immer wieder Bier bestellt worden, die Gäste hatten einfach nicht gehen wollen. Sie hatte eigentlich geglaubt, außer Jordan und Hidalgo wären schon alle weg, aber plötzlich tauchte ein gewisser Jemand hinter den Mülltonnen auf und ging neben ihr her.
»Hi«, sagte sie schüchtern.
Er war dagegen überhaupt nicht schüchtern. Wortlos griff er nach ihrer Hand und küsste ihr Handgelenk, dann fasste er sie um die Taille und küsste sie aufs Kinn.
»Das wollte ich schon den ganzen Abend machen. Sollen wir noch irgendwo was essen?«
Jo dachte an das Getratsche der älteren Mädchen im Toilettenraum. Hatte jemand sie gesehen? Würden sie morgen über sie herziehen? Eigentlich musste sie ja auch nach Hause, ihre Mutter wartete bestimmt schon auf sie.
Er behielt ihre Hand in seiner und zog sie die Promenade entlang.
»Ich muss bald heim«, protestierte sie.
Sie wollte nicht, dass er sie für ein Mädchen hielt, das man jederzeit und überall
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