SunQuest - die Komplettausgabe 2800 Seiten zum Sonderpreis: Dies Cygni und Quinterna (German Edition)
– sie alle bildeten ein schwappendes, schwimmendes, schwankendes Etwas, ein Gebilde, in dem breite und dünne, lange und krumme Stege alles mit allem verbanden, manche bloßes Knüppelwerk waren, manche aus richtigen Brettern gefertigt, manche aus herausgerissenen Türen ehemaliger Schränke oder den angeschwemmten Planken zerschellter Netz-Boote roh zusammengezimmert.
Inzwischen war es kurz nach
Vierklang
; in Burundun zählte man seit altersher die Stunden nach dem Ertönen der Schell. Alle übrigen
Klänge
wurden nicht mit der Triangel, sondern mit einer riesigen Dampfpfeife verkündet, deren langer Laut wie der Ruf eines Nebelhorns über den See trieb und dessen Echos sich an den Kraterwänden brachen. Beide, die Triangel und die Dampfpfeife, befanden sich am Steinernen Hafen. Flavor und Rubin stiegen hinter dem Kraterrand auf. Arausio würde wenig später folgen. Ein rotgoldener Schein tauchte den See, die Insel und den Turm in unwirkliches Licht. Auf den Stegen herrschte noch Ruhe, nur ein paar müde Frauen schlurften zu den Frühmärkten. Aber schon bald würde Lakara zu lärmendem Leben erwachen.
Windreit war fast das gesamte Noctum hindurchgewandert, um im Schutz des trüben Zwielichts unliebsame Begegnungen zu vermeiden. Sicher, nachts zu reisen war einerseits gefährlicher als am Tage, andererseits aber waren bedeutend weniger Leute unterwegs. Und die wenigen, die unterwegs waren … Nun, die Selachin hatte es gelernt, diesen in
Windeseile
zu entgehen. Immerhin, Windreit hatte unterwegs noch beherzt in einige, wenn auch nur ähnlich schmale Beutel wie den des Pecktmaginkhorers gegriffen. Egal. Auch wenn die Beute dürftig war, so reichte sie doch aus, um in den nächsten Tagen über die Runden zu kommen. Obwohl die Preise in der Seestadt anlässlich der Weihezeit wie jedes Jahr unverschämt hoch gestiegen waren.
Guter Dinge betrat Windreit die Pfahlhütte, die die Schwestern seit dem Tod der Eltern bewohnten. Sie schlug die Lederhäute zur Seite, sodass das frühe, fast waagrechte Licht durch den Türrahmen fiel und jeden Winkel im Inneren erleuchtete. »Windfang?«
Windreit rümpfte die Nase, während Windfang hastig versuchte den Nachttopf, in den sie sich eben erbrochen hatte, hinter ihrem Rücken zu verstecken. Eine überflüssige und ohnehin nutzlose Geste. Der scharfe Geruch war unverkennbar. Die allmorgendliche Brise, die von den Kraterhängen herab strömte und den Nachtmief aus Lakaras Hütten trieb, nahm die säuerliche Ausdünstung glücklicherweise mit sich fort.
»Das darf doch nicht wahr sein.« Windreit kniete sich auf die fest verwebte Bastmatte, die den Boden der Hütte bildete. »Bei Maris! Sag, dass ich träume.«
Ihre Zwillingsschwester schüttelte betrübt den mit schwarzen Gelsträngen bedeckten Kopf. Sie legte die langgliedrigen Hände, die Finger leicht abgespreizt, auf ihren zart gewölbten Bauch – die unbewusst beschützende Geste einer Schwangeren. Die verkümmerten, rosa verfärbten Schwimmhäute an den Fingeransätzen bekräftigten die Vermutung zur Gewissheit – bei allen Selachinnen war dies ein untrügliches Zeichen. Die Verfärbungen dunkelten mit der Schwangerschaft weiter fort und erreichten kurz vor der Niederkunft ein tiefes Purpurrot.
Windreit betrachtete die Schwimmhäute kritisch. »In welchem Lunarium bist du? Schon fast bei der Hälfte der Entwicklung, nicht wahr? Wie hast du
das
so lange versteckt? Ich meine, als ich fortging, warst du, ich meine, es war nichts zu sehen …« Windreit verlor den Faden.
»Ich bin in keinem
Lunarium
.« Windfang spuckte das letzte Wort förmlich aus.
Windreit starrte ihre Schwester verständnislos an. »Aber du bist …«
»Die Verfärbungen begannen mitten im Noctum«, presste Windfang hervor. Ihre leise Stimme verlor sich im Plätschern der Wellen unter dem Haus, die gegen die im Ufergrund versenkten Pfähle glucksten.
»In
welcher
Nacht?«
»In
dieser
Nacht. Heute. Es begann beim Auslaufen der Frühfänger«, erklärte Windfang bebend. »Ich bin seit etwas über vier Klängen schwanger. Bist du jetzt zufrieden?«
»Wer … wer war es?«
»Ich kenne den Mann nicht«, antwortete Windfang kleinlaut. »Er ist ein Spieler. Er gewann hohe Einsätze beim Strikkit. Ich entdeckte ihn, als ich schon auf dem Heimweg war; die Leute auf der Straße redeten über ihn. Ich betrat also den
Lustigen Fioren
und dachte gleich, sein praller Beutel sei zu schwer für ihn allein. Ich
tauchte
– doch er erwischte
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