Susan Price
bis er spürte, dass ihre Kräfte ganz allmählich nachließen. Nach und nach knickte ihr linkes Bein ein. Er biss die Zähne zusammen und kämpfte weiter – dann berührte ihr linkes Knie den Boden.
Jemand schlug mit der Messerklinge gegen einen Schild und rief: »Aufhören! Schluss jetzt! Schluss!«
Elfling war froh, aufhören zu können und ließ das alte Weib los, sprang aber zurück, weil er mit einer Niederträchtigkeit rechnete. Doch die Alte erhob sich langsam, ließ sich auf eine Bank fallen und wischte sich den Schweiß von den Brauen. Schweißtropfen flogen ringsumher. Sie atmete schwer, wie ein Sturmwind. Der Jubel der Männer in der Halle war verstummt, und Elfling sah kein höhnisches oder lächelndes Gesicht. Alle schauten ihn ehrfürchtig an.
»Die Heldenzöpfe sind rechtmäßig dein«, erklärte der junge Mann mit dem Messer und dem Schild.
»Dir gebührt der höchste Sitz in der Halle«, sagte ein anderer.
Elfling glaubte, sie machten sich wieder über ihn lustig, und betrachtete argwöhnisch ein Gesicht nach dem anderen. Sein alter Kittel, den das alte Weib zerrissen hatte, fiel herunter und ließ ihn nackt dastehen.
Der junge Mann steckte das Messer in die Scheide, gab den Schild seinem Eigentümer zurück und sprang von der Bank.
»Wir müssen dir etwas zum Anziehen geben«, sagte er. »Und Waffen. Du darfst dir von unseren Waffen die besten auswählen.«
Elfling wich der freundlichen Berührung des Mannes aus, der ihm auf die Schulter klopfen wollte. »Und das alles, weil ich ein altes Weib verprügelt habe? War es für euch Unterhaltung genug, die ihr die Ehre verloren hättet, indem ihr mit einem Sklaven kämpft?«
»Schau dir das arme alte Weib genau an«, sagte der junge Mann, und Elfling schaute an ihm vorbei, wo die Frau auf der Bank saß. Sie hielt den Kopf so gesenkt, dass ihr Haar bis auf die Füße hing und sie verbarg. Doch jetzt waren leuchtende rote Streifen in den Haaren, als hätte Regen den Rost herausgewaschen, und statt fettiger Strähnen fiel es in glänzenden Wellen herab.
»Kennst du sie nicht?«, fragte der junge Mann. »Als wir sahen, wie du sie in die Knie gezwungen hast, wussten wir, dass du dir die Heldenzöpfe verdient hattest.«
Die Frau hob den Kopf und warf ihr rotes Haar mit den wenigen grauen Strähnen zurück. Das Gesicht, das Elfling unter der Mähne anlächelte, war Jarnseaxas.
Einen Moment lang fühlte er Freude und Erleichterung, ein schwindlig machendes Glück, das in seinem Kopf umherschwirrte. Er starrte sie an und lächelte unwillkürlich erfreut zurück. Noch eine Probe. Das war alles. Er war nicht verstoßen.
Während er sie noch staunend betrachtete, drängten sich die Männer um ihn und brachten ihm Kleidungsstücke: ein feines Unterhemd und Beinkleider aus Leinen, eine Tunika aus feiner Wolle, scharlachrot gefärbt, einen Gürtel und Stiefel aus Leder.
Doch Elfling schenkte den Kleidungsstücken keine Aufmerksamkeit. Er starrte nur Jarnseaxa an, die sich von der Bank erhob und zu ihm schritt. Die Männer gaben ihr den Weg frei. Sie war nicht mehr wie eine Walküre gekleidet, sondern in ein langes Gewand aus scharlachroter Wolle. Auf ihrer Brust hing eine goldene Halskette aus vielen verschlungenen Gliedern, und um ihre Mitte trug sie einen Gürtel aus goldenen Platten. Sie legte ihm die Hand auf die Schulter und küsste ihn. Lächelnd sagte sie: »Ich habe dich zum Narren gehalten. Du solltest immer daran denken, dass auch ein Held zum Narren gehalten werden kann – vielleicht ist es bei Helden sogar noch leichter als bei anderen. Hasst du mich deswegen?«
»Ich liebe dich, edle Frau.«
Sie lächelte, als glaubte sie ihm nicht. »Selbst jetzt, wo du weißt, dass ich dieses stinkende alte Weib bin, gegen das du soeben gekämpft hast?«
»Ihr habt mir früher schon harte Hiebe versetzt, edle Frau. Und wenn Ihr Euch hässlich macht – nun, ich weiß, wie schön Ihr seid.«
Sie lachte und lehnte sich an ihn. Dabei stieg ihm ein Hauch des Gestanks des Stalls in die Nase, welcher die Alte umgeben hatte.
»Aber was wäre, wenn dieses meine wahre Gestalt wäre und ich mich nur verwandelt hätte, um schön auszusehen?«, flüsterte sie. »Was, wenn ich in Wahrheit hässlich wäre und auch hässlich bliebe? Würdest du dann immer noch sagen, dass du mich liebst?«
Ihre Worte klangen wahr und schienen eine Drohung zu sein. Ein leichter Schauder durchlief ihn. Er wusste nicht, ob sie die Wahrheit sprach oder nicht; aber er wusste, dass sie
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