Susannah - Auch Geister koennen kuessen
schlauchende Reise hinter mir und sollte jetzt mit einem Haufen blöder Jungs zusammenleben; ich hatte noch nicht mal meine Sachen ausgepackt; dafür hatte ich es aber fast schon geschafft, meine Mutter zum Weinen zu bringen. Und dann hatte ich in meinem Zimmer einen Geist entdeckt. Kann man es mir unter diesen Umständen verübeln, dass ich wenig Geduld mit ihm aufbrachte?
»Hör zu«, sagte ich, stand hastig auf und schwang das Bein über die Stuhllehne. »Meinetwegen häng in dieser Welt rum, so viel du willst, amigo. Ist mir egal. Aber nicht hier, klar?«
»Jesse«, sagte er reglos.
»Was?«
»Du hast eben Amigo zu mir gesagt. Ich dachte, du willst vielleicht wissen, wie ich wirklich heiße. Jesse.«
Ich nickte. »Fein, das passt. Na dann, Jesse. Tu, was du nicht lassen kannst – aber hier kannst du jedenfalls nicht bleiben.«
»Und du?« Er lächelte mich an. Nettes Gesicht. Echt nett. Mit so einem Gesicht wäre er auf meiner alten Highschool im Handumdrehen zum Ballkönig gewählt worden. Typen mit so einem Gesicht hätte Gina ruck, zuck aus jeder Zeitschrift ausgeschnitten und an ihre Zimmerwand gepinnt.
Hübsch war er nicht, das konnte man nicht sagen. Eher sah er … gefährlich aus. Beunruhigend gefährlich.
»Und ich – was?« Ja, ich war unfreundlich. Und es war mir egal.
»Wie heißt du?«
Ich starrte ihn an. »Pass auf, du sagst mir jetzt, was du willst, und dann verschwindest du, okay? Mir ist heiß, ich will mir was anderes anziehen. Ich hab keine Zeit für …«
Er unterbrach mich so lässig, als hätte ich gar nichts gesagt. »Die Frau vorhin … deine Mutter … hat dich Suzie genannt.« Seine schwarzen Augen glühten mich an. »Kurzform von Susan?«
»Susannah«, verbesserte ich ihn. »Wie in dem Lied: ›Oh Susannah, oh don't you cry for me.‹«
Er lächelte. »Das kenn ich.«
»Na klar, war wohl in deinem Geburtsjahr in den Top Charts, was?«
Er hörte einfach nicht auf zu lächeln. »Und das ist jetzt also dein Zimmer, Susannah?«
»Ja, das ist jetzt mein Zimmer. Also musst du einen Abgang machen.«
» Ich soll einen Abgang machen?« Er zog eine dunkle Augenbraue hoch. »Ich bin seit hundertfünfzig Jahren hier zu Hause. Wieso sollte ich von hier verschwinden?«
»Weil …« Langsam wurde ich echt wütend. Größtenteils weil mir so heiß war. Ich hätte gern ein Fenster aufgemacht, wollte Jesse aber nicht so nahekommen. »Weil das mein Zimmer ist. Ich habe null Lust, es mit irgendeinem toten Cowboy zu teilen.«
Das traf ihn hart. Er stampfte mit dem Fuß auf den Boden auf und erhob sich. Ich wünschte mir sofort, ich hätte nichts gesagt. Er war groß, viel größer als ich, dabei bin ich samt Stiefel einsfünfundsiebzig.
»Ich bin kein Cowboy«, betonte er zornig. Und dann fügte er leise etwas auf Spanisch hinzu, aber ich hatte in der Schule immer nur Französisch gehabt und verstand daher kein Wort. Im selben Moment fing der antike Spiegel über meiner neuen Ankleidekommode an seinem Nagel bedrohlich zu schwingen an. Was, wie ich wusste, nicht an einem kalifornischen Erdbeben lag, sondern daran, dass der Geist vor mir so aufgebracht war, dass er Dinge telekinetisch in Bewegung brachte.
Das ist das Schlimme bei Geistern: Sie sind so was von empfindlich! Bei der kleinsten Kleinigkeit gehen sie an die Decke.
»Hooo«, sagte ich und hielt abwehrend die Hände hoch. »Ganz ruhig, Kleiner, ganz ruhig.«
»In meiner Familie«, tobte Jesse und schwenkte den Zeigefinger vor meiner Nase herum, »haben alle wie die Sklaven geschuftet, um in diesem Land auf einen grünen Zweig zu kommen, aber keiner, keiner, war jemals ein vaquero …«
»Hey!«, rief ich. Und dann beging ich meinen großen Fehler. Ich mochte es nicht, wie er vor mir herumfuchtelte, also packte ich seinen Finger und zog Jesse so nah zu mir heran, dass er mein Gezischel unter Garantie hören konnte: »Lass den Mist mit dem Spiegel, ja? Und hör auf, mit dem Finger vor meinem Gesicht rumzufuchteln. Mach das nicht noch mal, sonst brech ich dir den Knochen durch, kapiert?«
Ich schleuderte seine Hand zur Seite und bemerkte zu meiner Zufriedenheit, dass der Spiegel nicht mehr wackelte. Aber dann sah ich, wie Jesses Gesicht sich veränderte.
Geister haben kein Blut in den Adern. Logisch, sie sind ja auch nicht lebendig. Aber ich schwöre, in diesem Augenblick wich jede Farbe aus Jesses Gesicht, als wäre jeder Tropfen Blut schlagartig verdampft.
Sie sind nicht lebendig, sie haben kein Blut – daraus könnte man
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