Susanne Barden 01 Hinaus ins Leben
Vorstellung schien nicht so spannend zu werden, wie sie erwartet hatte. Aber sofort änderte sie ihre Meinung. Fräulein Cameron donnerte: »Was machen Sie da?!«
»Warum? Ich dachte ...« stammelte Willi.
»Unsinn! Sie haben überhaupt nicht gedacht. Wiederholen Sie das bitte!«
»Aber ...«
»Tun Sie, was ich sage!«
Susy wartete mit klopfendem Herzen, was weiter geschehen würde. Plötzlich mußte sie wider Willen lachen. Aber es war kein lustiges Lachen, sondern mehr ein Weinen. Arme Willi! Ihre Albernheit, ihre Aufgeblasenheit waren mit einem Schlage vergessen. Susy litt mit ihr, während sie das Gelächter zu unterdrücken versuchte, das den Tränen so nahe war.
»Schwester Wilmont!« rief Fräulein Cameron empört.
Etwas fiel krachend zu Boden. Frau Barn stöhnte.
»Sie sind ungeschickt, Schwester Wilmont.« Fräulein Camerons Stimme war scharf wie ein Peitschenknall. »Heben Sie das auf und fahren Sie fort.«
»Um Himmels willen.!« flüsterte eine Stimme neben Susy.
»Was ist denn los? Wird hier eine Zirkusnummer einstudiert?«
Susy wandte den Kopf. Schwester Harring war vom Ambulatorium zurückgekehrt. Susy erklärte ihr flüsternd, was sich ereignet hatte. Dann horchten beide zusammen.
»Ich habe meine Schülerinnen nicht hergebracht, um ihnen eine derartige Pfuscherei zu zeigen. Legen Sie das gefälligst hin!«
»Ja, Fräulein Cameron.«
Frau Barn murmelte etwas. Nun sprach Fräulein Cameron mit ihr. Ihre Stimme wurde plötzlich so sanft, so freundlich und mitfühlend, daß Susy sich nicht genug über den Gegensatz wundern konnte. Leise schlüpfte sie in das Untersuchungszimmer. Schwester Harring schlich ihr nach. Durch die halboffene Tür konnten sie ein Stück des Wandschirm sehen, der das Bett verbarg. Darunter war ein Wald von Beinen sichtbar und darüber Fräulein Camerons Haube. Willi atmete keuchend.
Plötzlich sagte Frau Barn deutlich: »Schwester van Dyke macht das ganz anders. Ich möchte Schwester Van haben.«
»Wo ist Schwester van Dyke?« stieß Fräulein Cameron hervor.
»Sie - sie wurde zur Schulleitung gerufen, Fräulein Cameron«, antwortete Schwester Meredith mit flatternder Stimme.
»Ach, wie dumm! Machen Sie weiter, Schwester Wilmont. Worauf warten Sie?«
Eine Schürze raschelte hinter den Lauschenden. Kit tauchte aus dem Wäschezimmer auf. »Ist - ist das etwa Willi?« hauchte sie.
Susy nickte. Da im Saal alles still blieb, flüsterte sie Kit ins Ohr: »Was war los? Was hast du wieder angestellt?«
»Ach, nichts. Es war nur wegen meines Zimmers. Ich hatte einen Strumpf an meinem Spiegel hängenlassen und vergessen, die Betten abzuziehen. Es war .«
Plötzlich ertönte ein gemeinsamer Aufschrei von Frau Barn, Fräulein Cameron und Willi. Und dann hörte man Fräulein Cameron in höchstem Zorn: »Ist das alles, was Sie bei mir gelernt haben? Geben Sie her!«
Kit umklammerte Susys Arm. Ihre Schultern bebten vor unterdrücktem Gelächter, aber ihre Augen waren vor Entsetzen weit aufgerissen. Auch Susy mußte wieder lachen. Einen Augenblick später hörte sie Schwester Harring erregt kichern. »Ich - ich lache eigentlich gar nicht. Es ist mehr wie Weinen. Ich - ich kann einfach nicht anders.«
»Ich auch nicht.« Kit sank hilflos in sich zusammen. »Und ich muß mich - doch - wieder zum Dienst melden.«
Susy beherrschte sich mit ungeheurer Anstrengung und legte ihre Hände auf Kits Schultern.
»Hör auf!« befahl sie. »Du mußt aufhören, Kit!«
Kit straffte sich. »Ich - es ist schon vorbei.«
Ein paar Minuten später hörten Susy und Schwester Harring, wie sie sich bei Schwester Meredith zurückmeldete. Auch Frau Barn hörte Kits Stimme. »Da ist Schwester Van!« rief sie. »Ich will Schwester Van haben.«
»Schwester Meredith, schicken Sie sofort Schwester van Dyke her«, befahl Fräulein Cameron.
Susy griff nach Schwester Harrings Hand. »Mein Gott!« flüsterte sie. »Die arme Kit! Was soll sie nur machen?«
»Ein gutes Schlammbad vorführen«, antwortete Schwester Harring düster.
»Rasch, rasch!« rief Fräulein Cameron ungeduldig. »Wir haben genug Verzögerung gehabt. Nein, Schwester Wilmont, Sie bleiben hier. Schwester van Dyke!«
»Falten Sie die Hände, Harring!« murmelte Susy.
Es entstand eine Stille, die nur durch das Plätschern von Wasser und von Frau Barns unterdrückten Verwünschungen unterbrochen wurde. Die Stille hielt drei Minuten an - fünf Minuten. Vielleicht wollte Fräulein Cameron mit Rücksicht auf Frau Barn das Schlammbad
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