Susanne Barden 01 Hinaus ins Leben
die vor kurzem den jüngeren Teilhaber einer Importfirma geheiratet hatte. Sie befand sich erst eine Woche in ihrer neuen Heimat, als sie krank wurde.
»Sie muß den Krankheitskeim schon mitgebracht haben«, sagte die Schwester zu Susy. »Traurige Flitterwochen für das arme Ding!«
Die junge Frau litt unter Fieberphantasien und war zeitweise sehr schwierig. Sie bildete sich ein, in ein Gefängnis gesperrt zu sein, und zwar wegen eines Verbrechens, an dem sie unschuldig war. Nachts, wenn der Mond in ihr Zimmer schien, schrie sie laut, weil sie das Fensterkreuz für Gitterstäbe hielt, die ihr den Ausgang versperrten. Schließlich bekam sie eine besondere Nachtschwester. Diese mußte jedoch auch einmal etwas essen. Wenn sie um Mitternacht zum Speisesaal ging, wurde sie von der Nachtschwester der Station vertreten.
In einer regnerischen Nacht konnte Susy nicht schlafen. Sie knipste ihre Nachttischlampe an, nahm ein Buch vor und begann zu lesen. Der Wind heulte ums Haus, der Regen klopfte eintönig gegen die Scheiben. Susys Augenlider wurden schwer. Sie schlummerte halb, das Buch noch in der Hand. Aber plötzlich wurde sie ohne jeden ersichtlichen Grund hellwach. Irgendwo ging etwas Unheimliches vor, das spürte sie. Susy lauschte, konnte jedoch nichts hören. Ihre Unruhe wuchs. Schließlich legte sie das Buch hin, schlüpfte aus dem Bett, zog Morgenrock und Pantoffeln an und ging aus dem Zimmer. Draußen war niemand zu sehen. Die Tür des gegenüberliegenden Zimmers stand eine Handbreit offen. Ohne zu wissen warum, ging Susy darauf zu und öffnete sie weit. Das Licht im Zimmer brannte. Wie erstarrt blieb Susy auf der Schwelle stehen.
Dicht neben dem offenen Fenster sah sie die Spanierin und die Nachtschwester in fürchterlicher Stille miteinander ringen. Das Gesicht der Nachtschwester war blau angelaufen. Ihre Augen traten hervor. Die Spanierin, die mit beiden Händen ihren Hals umklammert hielt, würgte sie mit der Kraft des Wahnsinns und preßte sie gewaltsam gegen die Wand. Sie mußte die Schwester überrascht haben, denn diese hatte nicht einen Laut von sich gegeben.
Außer Susy war niemand in der Nähe. Nur sie konnte die Nachtschwester vor dem sicheren Tod erretten. Und dann bemerkte Susy noch etwas anderes. Das Fenster war geöffnet. Die Spanierin hatte es wahrscheinlich aufgemacht, um zu entfliehen. Das mußte verhindert werden. Die Kranke durfte auf keinen Fall in den kalten Regen hinaus. Sie würde sich eine Lungenentzündung zuziehen und sterben.
Susy fühlte sich noch sehr schwach. Aber sie mußte etwas unternehmen, und zwar sehr schnell. Dort hinten im Saal auf dem Pult stand das Telefon. Aber es blieb keine Zeit, um Hilfe zu rufen.
Die Nachtschwester röchelte schwach.
Susy sprang ins Zimmer, riß hastig ein Kissen vom Bett und drückte es in das wilde, entschlossene Gesicht der Kranken. Diese ließ die Nachtschwester los und wandte sich gegen Susy, indes die Schwester keuchend zu Boden sank.
Finger, hart wie Eisen, tasteten nach Susys Hals. Verzweifelt wehrte Susy sie mit einer Hand ab, während sie mit der anderen das Kissen gegen das Gesicht ihrer Angreiferin preßte.
Die Nachtschwester bewegte sich.
»Schäfer!« keuchte Susy.
»Ja?«
»Telefonieren Sie - schnell! Ich werde sie solange festhalten.«
Schwester Schäfer taumelte halb bewußtlos aus dem Zimmer. Sie war nicht imstande, Susy zu helfen.
Das Kissen fiel zu Boden, und die wilden Augen der Spanierin funkelten Susy wütend an. Ihre Lippen zogen sich von den Zähnen zurück. Zentimeterweise schob sie Susy zum Bett hin. Noch immer gab sie keinen Ton von sich.
Susy klammerte sich verzweifelt an den geschmeidigen Körper, während sie mehr und mehr zurückgedrängt wurde. Nun, da die Nachtschwester in Sicherheit war, wurde sie nur noch von einem Gedanken beherrscht. Die Patientin durfte nicht aus dem Fenster springen.
Susy fühlte etwas Weiches, Nachgiebiges unter ihren Füßen. Es war das Kissen. Sie stolperte, gewann jedoch mit einiger Mühe ihr Gleichgewicht zurück. Eine der bedrohlichen Hände war verschwunden. Zu spät entdeckte Susy, daß die Kranke ein Bein des Nachttisches gepackt hatte. Der Tisch schwang durch die Luft.
Es gab einen betäubenden Krach.
>Sie darf nicht aus dem Fenster .! Darf nicht hinaus!< war Susys einziger Gedanke.
Susy war blind, schwindlig, sie würgte. Aber ihre Hand hielt etwas fest - etwas, das sich hin und her wand. >Sie darf nicht aus dem
Fenster!<
Nun kamen Schritte, Stimmen. Susy brauchte
Weitere Kostenlose Bücher