Susanne Barden 01 Hinaus ins Leben
kleiner Rotkopf!« sagte sie herzlich. »Ich werde Sie jetzt jeden Tag besuchen kommen. Man hat mir die Erlaubnis gegeben.«
Und dann stürzte Vera Durant eines Nachmittags aufgeregt ins Zimmer.
»Fräulein Cameron fragt nach Ihnen. Sie wird gleich hier sein.« Schnell noch die Bettdecke glattgestrichen und die Fiebertabelle geradegerückt! Da tauchte auch schon die große, weiß gekleidete Gestalt in der Tür auf. Wieder einmal wurde Susy von der überragenden Persönlichkeit gepackt, aber diesmal auf eine andere Weise als sonst, denn jetzt war sie ja Patientin. Fräulein Cameron brachte so viel Energie mit sich ins Zimmer, daß Susy geradezu spürte, wie eine Welle neuer Lebenskraft ihren erschöpften Körper durchflutete.
»Schwester Barden, was machen Sie für Geschichten? Es tut mir leid, daß es Sie erwischt hat. Doch wie ich höre, erholen Sie sich schon wieder.«
Alltägliche, hergebrachte Worte. >Aber sie brauchte sie nicht zu sagen<, dachte Susy. >Sie sagt sie, und man fühlt sich wohler.<
Susy sprach mit Schwester Waring darüber.
»Ja, so ist sie«, sagte Schwester Waring. »Eigentlich schade, daß sie sich aufs Unterrichten beschränkt. Aber vielleicht bewirkt sie als Lehrerin auf die Dauer mehr. Die Schule ist ein Denkmal für sie.«
Dr. Barry besuchte Susy mindestens einmal am Tag. In seiner Gegenwart wurde sie gesprächig. Sie erzählte ihm von sich selbst, von ihrer Familie, von ihren Hoffnungen und Wünschen. Er hörte ihr so aufmerksam zu, als wäre ihm jede ihrer Bemerkungen wichtig. Sie kam sich anziehend und geistreich vor, wenn er bei ihr war. Bald hatte sie das Gefühl, ihn schon wer weiß wie lange zu kennen.
Eines Tages lehnte er sich ein wenig in seinem Sessel zurück und sagte, ohne sie anzusehen: »Im nächsten Monat ist meine Assistentenzeit hier zu Ende.«
Susy erschrak. Sie hatte niemals daran gedacht, daß er das Krankenhaus eines Tages verlassen könnte.
»Nein!« rief sie unwillkürlich.
Er sah sie an. »Tut es Ihnen leid?«
»Natürlich!« antwortete sie lebhaft. Als sie bemerkte, wie seine Augen aufleuchteten, fügte sie verwirrt hinzu: »Wir - wir waren doch immer so gute Freunde.«
»Ja, nicht wahr?« Er stand auf und blickte auf ihre zerzausten roten Haaren, in ihre großen braunen Augen.
»Wissen Sie eigentlich, daß Sie sehr hübsch sind?«
Susy errötete. »Wirklich?«
Erst nachdem er gegangen war, fiel ihr ein, daß sie ihn nicht gefragt hatte, was er tun wollte, wenn er das Krankenhaus verließ.
Später sagte Vera Durant ein wenig scharf: »Was ist los, Schwester Barden? Sie sind so trübselig wie ein Hinterhof im Regen.«
»Nichts ist los«, antwortete Susy verdattert. »Nur - ich bin schrecklich müde.«
Am nächsten Tag hatte Dr. Barry es sehr eilig. Susy fand keine Zeit, ihn nach seinen Plänen zu fragen. Als sich schließlich eine Gelegenheit dazu bot, antwortete er ausweichend. »Ach, ich weiß noch nicht recht. Ich habe einige Angebote bekommen. Wie geht es Ihnen heute?«
Die Wunde war gut verheilt. Die Fäden wurden entfernt, und Dr. Evan gab Susy die Erlaubnis, eine halbe Stunde im Sessel zu sitzen.
Susy fand eine halbe Stunde lächerlich wenig. Aber als sie mit der Hilfe von Vera und der Oberschwester zum erstenmal nach der Operation wieder auf den Beinen stand, machte sie die Erfahrung, daß eine halbe Stunde sehr lang sein kann. In ihren Füßen prickelte es, und ihre Knie wackelten bei den zwei Schritten zum Sessel. Bevor eine halbe Stunde um war, sehnte sie sich nach ihrem Bett zurück.
Am nächsten Tag ging es jedoch besser, und drei Tage später wagte sie es bereits, allein durch den Saal zu gehen. Sie hielt sich gebeugt und preßte die Hände auf ihre Seite, als müßte sie dort etwas festhalten. Dr. Evan beobachtete sie lächelnd.
»Richten Sie sich ruhig auf, Kind. Sie werden keine Schmerzen mehr haben, wenn Sie sich vorsichtig bewegen.«
Susy richtete sich auf, ein wenig unsicher zuerst, aber bald wurde sie mutiger. Es machte ihr Spaß, durch die Station zu wandern, andere Patienten zu besuchen und am Schreibpult oder im Waschraum mit den Schwestern zu plaudern. Ihre Pflegeschwestern waren abgerufen worden, sobald sie aufstehen konnte. Als sie sich kräftiger fühlte, nahm sie der Schwester vom Zwischendienst manche kleine Handreichung ab, denn es gab eine Menge Arbeit auf der Station. Besonders eine Typhuspatientin, die in dem Zimmer gegenüber Susys lag, machte den Schwestern viel Mühe. Es war eine junge Spanierin aus Peru,
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