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Sweetgrass - das Herz der Erde

Sweetgrass - das Herz der Erde

Titel: Sweetgrass - das Herz der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Alice Monroe
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schüchterne Berührungen und zärtliche Worte im Dunkeln kehrte zurück, als sie auf der Veranda stand und an die Tür klopfte, ohne zu merken, dass sie weinte.
    Die Tür ging auf. Ihr stockte der Atem, als sie seine Silhouette sah, die sich im schwachen Licht seiner Taschenlampe vor ihr abzeichnete. Er trug ein T-Shirt und Boxershorts, sein Haar war verwuschelt und sein Gesicht unrasiert. Schweigend blickte er sie an, seine Miene spiegelte Müdigkeit und Verwunderung wider.
    Mit der Hand, mit der sie eben noch heftig an die Tür geklopft hatte, strich Mary June sich nun nervös ihr tropfnasses Haar zurück. Plötzlich schämte sie sich, weil sie um diese Zeit bei ihm auftauchte, heulend und klatschnass, mit schmutzigen Tennisschuhen und einem Regenmantel über ihrem Babydoll-Pyjama.
    “Mary June! Was machst du denn hier?”
    “Du fährst nach Europa!”, rief sie, und ihre Stimme klang anklagend.
    “Richtig.” Er schwieg einen Moment und hob den Kopf. “Aber nicht heute Nacht.”
    “Wann dann?”, wollte sie wissen.
    Er starrte sie verblüfft an. “Ich weiß es nicht! Vielleicht nächsten Monat. Vielleicht auch nicht. Ich habe mich noch nicht entscheiden. Bald.”
    “Du hast mir nichts davon erzählt. Wann hätte ich es denn erfahren?”
    Tränen stiegen ihr in die Augen, und auch wenn sie um Fassung kämpfte, war sie doch zu müde oder zu aufgewühlt, um länger gegen ihre Gefühle anzukommen.
    “Nicht weinen”, murmelte er und machte einen Schritt auf sie zu.
    “Ich weine nicht”, erwiderte sie schnippisch und wehrte seine Hand ab. Sie war nicht hergekommen, um sich von ihm bemitleiden zu lassen.
    Er blickte sie stirnrunzelnd an. “Okay.”
    Sie fuhr sich über die Augen und redete weiter, solange sie noch konnte.
    “Es ist, weil Adele erzählt hat, dass du weggehst, und ich dachte, wenn das stimmt, dann ist alles zwischen uns nur eine Lüge gewesen. Oder so ein kleiner Sommerschwarm – was man eben so erzählt, wenn die Freundinnen fragen, was man in den Ferien erlebt hat. Was zum Kichern. Und den Gedanken könnte ich einfach nicht ertragen.” Sie sah ihn an.
    “Du hast etwas in mir ausgelöst.” Ihre Worte klangen wie eine Anklage. “Ich habe das nicht gewollt. Schau mich an, wie ich hier im Schlafanzug im Regen stehe. Ich weiß gar nicht, was ich hier überhaupt mache. Aber es fühlt sich richtig und gut an!”, rief sie, und ihre Augen begannen zu strahlen.
    “Mein ganzes Leben lang hat mir immer jemand gesagt, was das Beste für mich ist. ‘Mary June, dieses Kleid wird dir gefallen.’ ‘Mary June, der Junge wäre doch was für dich.’ Und ich habe alles mitgemacht und mich nie zu fragen getraut, was ich eigentlich wirklich wollte oder nicht wollte. Sogar deine Schwester – gerade sie: ‘Mary June, Tripp ist nicht gut für dich.’“
    “Das hat sie gesagt?”
    “Aber ja! Und genau in dem Moment wusste ich, dass du eben doch gut für mich bist. Und als ich dann hörte, dass du wegwillst, wusste ich, dass ich das nicht hinnehmen kann, nicht einfach so. Ich wollte es von
dir
hören. Ich … Ich wollte mir nicht mehr sagen lassen, was gut für mich ist. Also hab ich meinen Regenmantel angezogen, mir das Fahrrad geschnappt und bin hergeradelt. Den ganzen Weg. Alleine. Im Regen”, endete sie schluchzend, weil sie nicht länger gegen ihre Tränen ankam.
    Tripps Miene wurde weich, als er verstand.
    “Mary June”, sagte er, diesmal zärtlicher, und ging auf sie zu. Er legte seinen Arm um ihre schmalen zitternden Schultern und zog Mary June mit sich ins Haus.
    Sein starker Arm tat so gut. Diese Berührung gab ihr ein Gefühl der Sicherheit und ließ ihre verrückte Fahrt durch den Regen nicht mehr so lächerlich erscheinen. Und als sie in das alte verwitterte Haus trat, in dem es ein bisschen muffig und modrig roch und in dem es ohne Strom ganz dunkel war und ohne Heizung ganz kalt und das auf einem Kliff stand und Wind und Wetter trotzte, wusste sie, dass sie genau dort war, wo sie sein wollte. Als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, war der Sturm auf einmal weit entfernt.
    Die Luft zwischen ihnen knisterte. Er wandte sich ihr zu, legte den zweiten Arm um sie und zog sie an sich. Sie fühlte seinen warmen Atem auf ihrer Wange, der ein kleines bisschen nach Whisky roch. In seinen Augen brannte eine Frage so hell und klar wie die Lampe in seiner Hand.
    Es war eine uralte Frage, und sie antwortete darauf, wie Menschen es seit Urzeiten taten. Das war nicht der Moment für große Worte.

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