Tänzerin der Nacht - Feehan, C: Tänzerin der Nacht - Night Game
ihn gewandt hatte, aber sie konnte es trotzdem nicht lassen. Warum schien es immer so, als siegte das Böse? Das Leben hatte nichts mit schönen Märchen gemeinsam, aber dieses eine Mal wünschte sie sich, dass es gut ausging.
Gator blieb fast das Herz stehen, als er Flames Gesichtsausdruck sah. Er presste sich eine Hand auf die Brust, um sicherzugehen, dass er noch atmete. Sie konnte ihm die Beine unter dem Körper wegziehen, wenn sie so traurig aussah, so ungemein zerbrechlich. Er wollte sie in seine Arme ziehen und sie eng an sich schmiegen, damit ihr niemals etwas zustoßen konnte. Flame war eine Frau, die stets eine Hand am Messer hatte und seine Vorstellung, sie beschützen zu müssen, verhöhnen würde, aber das änderte nichts an seinem Bedürfnis, für ihren Schutz zu sorgen.
Er schlang ihr die Arme lässig um den Hals, zog sie an sich und tat so, als sähe er die Tränen nicht, die so dicht bevorstanden, tat so, als bemerkte er nicht, dass sie von Kopf bis Fuß zitterte. Sie würde ihn umbringen, wenn sie in Gegenwart der anderen weinte, und daher bewegte er sich auf einem schmalen Grat und setzte seinen Körper dazu ein, sie abzuschirmen, während er gleichzeitig darauf achtete, keine Flut von Tränen auszulösen. »Lasst uns an die Arbeit gehen«, sagte er mürrisch. »Ich weiß, wo die Fallenstellerhütte der Comeauxs steht.«
Flame lief dicht neben ihm her und ließ zu, dass sein strammer Körper ihren streifte, um ihr zu Selbstbeherrschung und Konzentration zu verhelfen. Sie hatte sich noch nie auf jemand anders als sich selbst verlassen, und
es war ein eigenartiges Gefühl, sich zu gestatten, den Trost eines Mannes anzunehmen. Eines Schattengängers. Sie ließ sich das Wort probehalber auf der Zunge zergehen, während sie in den Jeep mit Vierradantrieb einstieg. Waren sie alle Schattengänger, ebenso, wie sie es war? Sie sah sich um und musterte verstohlen die anderen Männer. Sie wirkten alle ziemlich zäh. Von Kämpfen gezeichnet. Und sie alle hatten Schatten in den Augen. Es spielte keine Rolle, dass Tucker Addison genüsslich Nonnys Hausmannskost verschlang und sich höflich und sanft verhielt, wenn er mit der alten Frau sprach. Dadurch änderte sich nichts. Flame konnte eben diese Schatten sehen, die bewirkten, dass kein Licht jemals wirklich seine Augen erreichte. Der Umstand, dass sie etwas miteinander gemeinsam hatten, ließ sie sich ihnen allen ein klein wenig näher fühlen.
Die Männer murmelten mit gesenkten Stimmen und arbeiteten einen Plan aus, wie sie sich am besten an die Fallenstellerhütte der Comeauxs heranschleichen konnten. Sie würden den Jeep so nah wie möglich an die Hütte fahren, den restlichen Weg mit einer Piroge zurücklegen und dann durchs Wasser waten. Wyatt würde sich mit dem Sumpfboot in Bereitschaft halten und es zu ihnen steuern, wenn sie ihm ein Signal gaben, damit sie Joy schleunigst wegschaffen konnten.
Keiner der Männer protestierte, als Gator sagte, Flame würde sich allein in die Hütte begeben, um zu überprüfen, ob Joy dort war. Sie hörte nur mit einem Ohr zu, da sie wusste, dass sie ein Team waren. Sie war die Außenseiterin, das fünfte Rad am Wagen. Die Männer hatten gemeinsam trainiert und waren gut aufeinander eingespielt; jeder wusste, was der andere in der jeweiligen Situation tun würde. Kaden konnte sie abschirmen; er würde dafür sorgen,
dass niemand sie kommen sah oder hörte. Gator und Flame konnten jedes Geräusch zum Verstummen bringen und ihnen somit zusätzlichen Schutz geben.
Die Piroge bestand aus Zypressenholz und hatte einen flachen Boden. Gator stakte sie durch ein Meer von purpurnen Wasserhyazinthen. Prachtvolle Silberreiher stelzten auf Nahrungssuche auf ihren langen Beinen durch das Wasser. Manche schlugen mit den Flügeln, als sich die Piroge zwischen ihnen hindurchbewegte, doch sie schienen sich nicht allzu sehr beunruhigen zu lassen. Das Boot kam an Zypressenwäldern vorbei, die mit Louisianamoos bewachsen waren, an Tupelobäumen und Ahorn, dessen Laub sich verfärbt hatte und eine dramatische Palette von Rottönen aufwies. Das wüste Durcheinander von leuchtend bunten Blumen auf dem sumpfigen Boden und die Gräser, die sanft im träge fließenden Wasser wankten, erweckten den Eindruck einer untergegangenen Welt. Flame war noch nie so tief im Innern des Bayou gewesen und staunte über die enorme Schönheit, von der sie allseits umgeben war. Es erschien ihr geradezu obszön, dass ausgerechnet inmitten einer solchen
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