Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde
war das Liedchen Bruder Jakob .
Der Spruch, wie musste der Spruch gehen?
… es soll aber kein Tod seyn …
Ich konzentrierte mich auf die Worte, versuchte jedes einzelne davon zu visualisieren, ihm eine Melodie zu schenken und es der Magie zu reichen.
Schläfst du noch? Schläfst du noch?
Meine Hände zitterten, zuckten unkontrolliert. Ich konnte den Fluch brechen, ich war stärker, verdammt, ich war ich.
Es. Soll. Aber. Kein …
Meine Beine gaben nach.
»Es soll aber kein Tod seyn!«, brüllte ich und ballte die Fäuste.
Gallagher lag neben mir. Ich konnte sein Herz nicht fühlen, ich konnte nicht hören, ob er noch atmete.
Ich saß auf einem Hügel, mit den drei Ruten zwischen mir und ihm. › Dann vergrabe sie unter einem Hügel, wo du meinst, dass Feen hinkommen.‹
Was für eine Ironie! Die Fee würde hierherkommen, natürlich, weil sie ganz sicher gespürt hatte, was ihrem Schützling widerfahren war. Ich würde die Fee binden. Aber was nutzte es, wenn mir der nächste Stein, der nach ihr fallen sollte, von einem Fluch genommen wurde?
Vielleicht war ich doch nicht auserwählt, wie ich geglaubt hatte. Vielleicht war das die Art, auf welche die Magie sich über mich lustig machte.
Trotzdem brachte ich den Teil des Rituals zu Ende und vergrub die Stäbe. Dann lief ich.
Ich lief meinem Kerkermeister in die Arme.
Er packte mich, schlug mir ins Gesicht, immer wieder. »Dachtest du wirklich, du könntest mir entkommen?«
Nein. Aber das sollte er ruhig glauben. Ich stammelte eine Entschuldigung und dass ich es nie wieder tun würde … Ich weinte, um meinen Plan und ein wenig um Gallagher.
Mein Bewacher schlug mich, bis ich auf dem Boden kauerte und ihn um Gnade anwinselte.
»Komm.« Er zerrte mich hoch. »Es ist Zeit, auf die Jagd zu gehen. Ich will sehen, wie du tötest. Und wehe, du enttäuschst mich.«
2 7
»Wie konntest du mir das nur antun?« Zarahs Ausruf scheuchte die Krähen aus den Bäumen am Teich auf, deren schwarze Körper in einem aufgeregten Flattern in den grauen Himmel regneten. »Du bist einfach so abgehauen! Du hast mich allein gelassen! Du … du … Mistkerl!«
Ash antwortete nicht, er leuchtete nur. Sein ätherisches Wesen strahlte etwas aus, was sich ausbreitete wie Gnade, was rein und unschuldig wirkte und Zuversicht schenkte. Erhaben schwebte seine Astralprojektion über dem Boden. Doch sein Gesicht, so makellos fremd, verriet, dass irdische Gefühle ihm nicht gänzlich abhandengekommen waren. Es enthüllte Verzweiflung, sogar ein wenig Furcht. Vermutlich in Erwartung dessen, was nach dem Ausruf kommen sollte. Doch das wusste nicht einmal Zarah. Jäh verstummte sie, mit einem Mal hatte sie für Ash nichts mehr übrig, was sie ihm hätte sagen können.
Die Perchta hüstelte. »Ich merke schon, ihr benötigt ein wenig Privatsphäre.«
Sie brachte die Eisenkette und das Beil ins Haus, und als sie wieder herauskam, kämpften in ihrem Leib die Schöne und die Hexe gegeneinander und verzerrten ihr Äußeres zu einem grausigen Bild: ein wohlgeformtes Ohr, darüber die splissigen, schütteren Strähnen; ihre geschwungenen, leicht geöffneten Lippen schienen sich nach Küssen zu sehnen, während von den gelblichen Zähnen der Geifer troff. Die Perchta beugte sich zum Teich und tunkte die Finger ins Wasser. Die silbernen Seelen-Fäden strömten zu ihr und wirbelten unter ihrer Hand wie ein strahlendes Knäuel sprühenden Lebens. Die Perchta spritzte das Wasser hoch. Es glitzerte und funkelte, ganz ohne die Hilfe der Sonne. Über Zarahs Kopf verschmolzen die Seelen-Fäden zu einem filigranen Geflecht, in dessen Öffnungen das Wasser einen dünnen Schleier bildete. Sofort wich die Welt zurück, und all ihre Geräusche drangen nur noch gedämpft unter die seltsame Kuppel.
Ash. Sie stand ihm gegenüber, sie sollte doch an ihn denken. Und nicht mit halb geöffnetem Mund, den Kopf in den Nacken gelegt, die Kuppel der ungeborenen Seelen bestaunen.
Aber in ihrem Inneren gab es keinen Platz mehr für Ash.
»Hallo«, war alles, was sie ihm zu sagen hatte.
»Hallo«, antwortete er.
»Wo warst du?«, fragte sie.
»Bei dir. Immer bei dir.«
Seine Silhouette flirrte wie Sommerluft über einer Asphaltdecke, jede Linie war in Bewegung, als könne er keine Ruhe finden.
War das wirklich noch der Ash, den sie zu kennen geglaubt hatte? Seltsam. Sie erkannte ihn kaum wieder, vermisste die wie von Pocken vernarbte Haut, die scharfen Kanten seiner Züge. All das war von seiner Heiligkeit glatt
Weitere Kostenlose Bücher