Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde
Magie.«
Sie biss die Zähne zusammen, als ein weiterer Stromschlag durch ihre Hand zuckte und den Arm bis zum Musikantenknochen hochschoss. »Okay. Folgendes: Geh zu Gallagher. Du musst ihn beschützen. Ich schaue nach, was los ist. Der Schrei klang, als käme er aus der Nähe.«
»Bist du des Wahnsinns fette Beute, Mädel? Wir müssen von hier abhauen, und das so schnell wie möglich. Keine Ahnung, was hier geschieht, Gutes ist es mit Sicherheit nicht.«
»Ich glaube, ich habe Taras Stimme gehört.« Das war Irrsinn, absoluter Irrsinn. Tara hatte nie lange mit ihr gesprochen. Sie könnte die Stimme des Mädchens unmöglich erkennen.
»Und ich glaube, dass du dich täuschst. Lass uns Gallagher holen und Leine ziehen.«
»Ich muss nachsehen, Friedbert. Außerdem: Ich bin eine Gebrandmarkte. Die Magie kann mir nichts anhaben.«
»Denk doch nur einmal nach, bevor du etwas tust, Mädel. In dieser Konzentration kann die Magie durchaus physikalische Wirkung entfalten. Jüngste Forschungen belegen, dass …«
»Ich glaube, wir waren uns einig, was wir von irgendwelchen Forschungen und Studien halten.« Der nächste Stromschlag ließ ihre Hand krampfen. Beinahe hätte sie Friedbert in ihrer Faust zerquetscht.
»Genau das meine ich doch!«, prustete er, während er sich zwischen den Fingern hervorschlängelte. »Was du vorhast, ist einfach nur hirnrissig.«
»Sag mir lieber, wo wir genau sind.«
Er rollte die Augen. »Irgendwo in der Nähe von Klein Hansdorf.« Sein Wink ging in unbestimmte Richtung. Verständlich. Wenn man sich in einem Wölkchen Staub überall materialisierte, brauchte man weder einen ausgeprägten Orientierungssinn noch ein Navigationsgerät.
»Kümmere dich um Gallagher, ich bin sofort wieder zurück.« Sie setzte Friedbert auf einem Zweig ab und ging in die Richtung, aus der sie den Schrei gehört hatte.
»Wehe, wenn nicht!«, rief die Fee ihr nach. »Du bist sein ›glücklich bis ans Ende aller Tage‹. Ich habe echt keinen Bock, ihn aus dem Depri-Loch zu ziehen, sollte dir was zustoßen.«
»Ich werde daran denken!«
Er knurrte ihr bloß etwas Undeutliches hinterher, was im Knacken und Rascheln der Äste beinahe unterging.
Ohne Friedberts rosafarbenes Schimmern schien die Welt um sie herum endgültig ergraut zu sein. Sie trampelte durch das Dickicht, um eine deutliche Spur zu hinterlassen und anschließend zurückzufinden. Die Wolken trieben wie brüchiges Eis über den Himmel. Die physische Welt litt unter der sich aufbäumenden Magie.
Zarah irrte durch das Dickicht, machte oft Halt, um in die Stille zu horchen. Mehrfach kreuzte ihren Weg eine Fährte aus abgeknickten Ästen. Teilweise glaubte sie, im Kreis zu laufen, bis sie eine der Bruchstellen genauer untersuchte und ein langes Haar fand, das eindeutig nicht ihr gehörte. Etwas weiter hatte sich in einem Busch ein Stofffetzen verfangen. Abermals lauschte sie. Dieses Mal vernahm sie ein Stöhnen, kurze Zeit später – ein Gurgeln.
»Tara?«
Vielleicht war es gar nicht Taras Schrei gewesen. Manchmal lockte die Magie ihre Opfer mit den merkwürdigsten Sinnestäuschungen. Und sie war dem Trug auf den Leim gegangen.
»Tara, ich bin’s! Du brauchst keine Angst zu haben, du weißt, dass ich dir nichts tun werde.«
Ein Stöhnen, ganz deutlich.
Sie tastete sich in die Richtung vor, bog die Zweige auseinander, stolperte über die verwelkten Grasbüschel und Wurzeln.
»Tara, bist du es?«
Als sie durch den nächsten Busch brach, stürzte sie auf eine Lichtung. Vereinzelte Bäume reckten sich kränklich gen Himmel. Das Laub, frostknisternd, pufferte ihre Schritte ab, und sie hielt inne, von der Unwirklichkeit der Szenerie eingeholt. Weiter hinten lag ein großes, undefinierbares Bündel. Ein verendetes Tier? Ein Mensch?
Über das knisternde Laub lief sie hin, kniete nieder, drehte das Etwas auf den Rücken. »Tara, du bist es wirklich!«
Die Lider des Mädchens flatterten, ohne sich ganz zu öffnen. Durch die schmalen Schlitze blitzte das Weiß der Augäpfel. Zwischen den Lippen quoll eine dunkelrote, zähe Flüssigkeit hervor. Tara gurgelte, riss den Mund auf und erbrach einen Schwall Blut, das ihr Kinn und den Hals entlanglief. In ihrem Schlund zuckte ein Stummel, wo früher eine Zunge gewesen war.
»Oh Höllenfürst!« Zarah hob das Mädchen an, damit es nicht am eigenen Blut erstickte, untersuchte es auf weitere Verletzungen. Der Lumpen am Klumpfuß war zerfetzt. Die Arme und das Gesicht von Kratzspuren übersät, die Kleider
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