Tag der geschlossenen Tür
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Vielleicht sollte ich mich im Eingangsbereich von Krankenhäusern positionieren – ich halte mich dort ja sowieso gerne wegen der Krankheiten auf – und Namen für diejenigen anbieten, die sich bis kurz vor der Geburt noch nicht entscheiden konnten. Krankheit gegen Namen zu tauschen! Ich verschiebe die Initiative bis auf Weiteres.
Aber wie wäre es, wenn ich ein Namensbuch herausbringen würde? »Die besten absurden Namen der Welt«. Gibt’s noch nicht. Das Problem: Die Leute wollen keine absurden Namen. Die Leute wollen Trendnamen. Die Leute wollen wie in allen anderen Bereichen im großen Strom mitlaufen und einem geregelten und angesagten Individualismus frönen. Individualismus von der Stange. Hannah, Leon, Tim, Paula, Lea, Lukas, Anna, Jan, Marie. Aber eben nicht Birne Bommelmansk. Und dennoch werde ich dieses Buch schreiben. Als Tribut an das einzige Talent, das ich habe und das der Herr mir nicht umsonst gegeben haben will. In ferner Zukunft wird man mir womöglich dankbar sein, wenn am Horizont das Zeitalter des Absurden sein dunkelviolettes Haupt erhebt und meine Namensbücher ganze Generationen mit nie gehörten Bezeichnungen versorgen werden.
Ein Wimpernschlag der Geschichte
E s scheint einen neuen Mitbewohner bei uns im Haus zu geben. Im zweiten Stock stand schon länger eine Wohnung leer, der ältere Herr, der dort gewohnt hat, ist im Krankenhaus verstorben. Zwei Tage später fand sich ein Container vor der Eingangstür, in den sein gesamter Hausstand verfrachtet wurde. Alles, was er besaß, landete, von zwei grobschlächtigen Trägern gewuchtet und dirigiert vom Sohn des alten Herren, auf dem Müll. Die Sechzigerjahre-Kleinbürgermöbel, das französische Ehebett aus Eichenfurnier, die Küche aus Resopal, Spiegel, Lampen, Frauenkleider (augenscheinlich die Kleider der Frau des alten Herren), Teppiche, Vasen, Becher, alles dem Verfall und Vergessen anheimgegeben. Zwei Leben beendet und ausgelöscht vom Gang der Zeit, freigeräumt der Platz, den sie beanspruchten, ihre Spuren verlieren sich auf einer Müllhalde, bald wird sich niemand mehr an sie erinnern. Wie schade, dass wir Menschen keine Haus- und Wohnungsbücher führen, in denen wir nachlesen können, wer wie lange und auf welche Art vor uns einen Ort belebt hat.
Nachdem der Container abtransportiert worden war, betrat ich die Wohnung, um mich umzuschauen. Überall lagen noch Gegenstände herum, Schnapsgläser, alte Zeitungen, ein paar Schuhe, ein Fotoalbum. Seltsam, auf diese Art in ein fremdes Leben einzudringen. Das Hier und Jetzt, die Unmittelbarkeit und Festigkeit des Daseins auf den vergilbten Bildern, das Vertrauen der Fotografierten in den Augenblick, und dass schon alles so bleiben würde, wie es jetzt gerade war, mittendrin im Leben und im Lauf der Dinge, Menschen in Reisesituationen, in verschiedenen Ländern, Kamele, Pyramiden, ein blaues Meer, Palmen, Sonnenstühle vor dem Hotel, Wolken um einen Berggipfel, immer wieder der alte Herr und seine Frau, in jüngeren Jahren, von Bild zu Bild in Sprüngen alternd, umgeben von Freunden, dem Sohn, der Tochter, meist in gehobener Laune, Wein fließt wie aus einem Füllhorn für alle Zeit auf den Fotos, hört nie auf zu fließen, egal, wie lange ich das Foto betrachte, eine Hollywoodschaukel, ein Grill, die jungen Menschen tragen Minirock und Glockenjeans, der Sohn sieht verwegen aus, seine Hose ist zu eng, und er trägt eine extravagant modulierte Frisur und breite Koteletten, die Tochter hat etwas bieder Sexuelles an sich, dessen Impulse mich jetzt noch durch die Zeiten tangieren, alles ist im Fluss und gut und richtig so, denn so geht das Leben. Und nun ist es vorbei. Für mich mit einem Wimpernschlag, denn ich hab nicht daran teilgenommen. Und den Kindern des alten Herren ist es egal, sie haben damit abgeschlossen. Wozu sollten sie diese Erinnerungen verwahren, sie haben schon genug mit ihren eigenen zu tun. Maximal zwei Generationen wird man sich an die Existenz dieser Menschen erinnern, und wenn sie dann mit den Bildern in den Köpfen der Enkel sterben, sind sie endgültig verloschen.
Ich habe das Fotoalbum mit nach Hause genommen, um es zu pflegen wie mein eigenes und später an meine Nachfahren weiterzugeben. Oder, wenn ich keine Nachfahren haben sollte, um es der Nachwelt zu überlassen. Auf dass man noch in Jahrtausenden an das alte Paar denken wird.
Jetzt drängt aus der ehemaligen Wohnung des alten Mannes Lärm, jemand
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