Tag der geschlossenen Tür
drin – das wäre doch eigentlich das perfekte Spektakel. Wozu sind diese Kampfjets denn da, wenn sie sowieso kein Ziel haben, keinen Feind, der ihre Existenz rechtfertigen könnte? Wenn man uns Einwohnern der Innenstadt Waffen geben würde, könnten wir auf sie schießen, und sie könnten Bomben auf uns schmeißen, das würde Sinn machen. Aber so? So fehlt da irgendwas.
Ein Freund fürs Leben
A n manchen Tagen gehe ich durch die Stadt und
überprüfe meine Depots. Schaue nach, ob meine Einlagen noch da sind oder ob sie durch Witterung, Tiere oder andere Umwelteinflüsse gefährdet sind. Meist lege ich noch ein wenig Geld dazu. Ich habe in der ganzen Stadt kleine Depots angelegt. Für schlechte Zeiten. An allen möglichen Wegen, die ich in meinem Alltag ablaufe. In der Schalenlampe im Hausflur. Auf dem Wasserrohr im Innenhof. Hinter dem Efeu an der Hofeinfahrt meines Wohnblocks. Auf dem Garagendach am Fleet. Auf dem obersten Regal in dem Herrenausstattungsladen. Bei Karstadt in der Ritze hinter der Umkleidekabine. Bei der Sparkasse hinter dem Briefkasten. Auf den dicken Mauersteinen des Rathauses in zwei Meter fünfzig Höhe. In dem Streukasten an der Davidwache. Häufchen mit Kleingeld. Mit Zwanzig- und Fünfzig-Cent-Münzen. Für schlechte Tage. Oder für den Fall, dass ich mal kein Geld dabeihabe und mein Konto leer ist. Dann hab ich immer noch meine Rücklagen. Das mache ich schon seit meiner Kindheit so. Überall gibt es diese Depots. Andere schmeißen ihr Kleingeld zu Hause ins Sparschwein. Ich leg es in der Welt zurück. Ich habe auch einen Plan davon gemacht, für schlechte Tage. Und wenn es mir irgendwann richtig mies geht und mein Konto leer ist und ich meine Wohnung verloren habe und keine Rente mehr bekomme, dann gehe ich mit meinem Plan los und mache mir eine gute Zeit. Manchmal ist so ein Depot auch geplündert, weil eine Elster oder ein paar Pubertierende mich beobachtet haben, aber das macht mir nichts. Es ist nur Kleingeld, die Menge macht’s. Heute bin ich meine Depots abgelaufen und habe sie überprüft. Alles war in Ordnung, trotzdem habe ich keine Befriedigung gespürt. Ich habe mich doppelt einsam gefühlt. Manchmal dringt die Einsamkeit bis in meine Poren, die Synapsen und mein vegetatives Nervensystem vor, dann wird in mir alles ganz kühl und leer, und ich frage mich, warum ich nicht näher bei den Menschen leben kann. Früher konnte ich das ganz gut, es wurde mir selten zu eng, ich habe eher den Kontakt und die Grenzenlosigkeit, ja, die Verschmelzung gesucht. Auf Konzerten, in Tanzsälen, auf Demonstrationen oder in Gesprächsrunden. Aber über die Jahre hat es mich immer weiter weggetragen von den Begegnungen, den Berührungen und Überschreitungen. Das Alleinsein zieht mich mit Macht an, die Ruhe, die Konzentration, die spürbare Begegnung mit dem eigentlichen Sein und dem Schwirren der Möglichkeiten. Wäre noch ein Mensch anwesend, könnte ich diese Klänge nicht mehr hören. Ich lebe in einem unüberwindbaren Widerspruch: Zwar kann ich nicht in der Natur leben, ganz auf mich selbst gestellt, und muss meine Bleibe direkt unter den Menschen haben, in einer möglichst großen Anballung, aber genau dort suche ich nach der Einsamkeit und dem Eremitentum. Es ist sozusagen ein abgesichertes Eremitentum, aus dem ich jederzeit herausfallen kann. Wenn die Einsamkeit zu groß wird, kann ich mich unter die anderen Einsamen auf der Straße mischen und fühle mich gleich ein wenig geborgen. Dennoch: Ich hätte gerne einen Freund fürs Leben. Einen, mit dem ich alles erleben könnte. Einen, mit dem ich über alles reden könnte und über alles schweigen. Einen, mit dem ich trinken könnte, sobald sich der Durst bei uns synchron einstellte. Einen, mit dem ich mich schlagen und vertragen könnte. Einen, mit dem ich arbeiten könnte. Etwas erfinden könnte. Etwas entwickeln könnte. Einen Freund fürs Leben eben.
Deshalb beschließe ich, eine Annonce aufzugeben in der örtlichen Stadtzeitschrift. Das kostet zwar eine Kleinigkeit, dafür aber kann es dann jeder lesen, und ich bin dem Schicksal bereitwillig entgegengegangen:
Freund fürs Leben gesucht.
Ich, mittelalter Mann, suche einen Freund fürs ganze Leben. Keine homoerotischen Tendenzen. Größe und Haarfarbe sowie Gewicht spielen keine Rolle. Zu mir: Kleidungsgeschmack, ebenfalls Kunst- und Musikinteresse vorhanden. Literaturversiert. Innenstadtsicher. Typisch männliche Vorlieben: Waffen und Werkzeugliebhaberei. Interesse an
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