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Tag der geschlossenen Tür

Tag der geschlossenen Tür

Titel: Tag der geschlossenen Tür Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rocko Schamoni
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aus, als würde sein dünner Kopf aus ihrem dicken herauswachsen.
    »Wolfgang hat den Wagen aufgemacht und die Katze rausgeholt, weil die Katze war nicht in ihrem Korb befestigt, hören Sie, da dreht diese Katze durch und beißt ihm in die Hand, und wissen Sie was …?«
    »Nein, was denn?«
    »Wolfgang hatte ein Loch in der Hand … Da konnte man durchsehen … Glauben Sie das?«
    Ich möchte antworten: »Nein, das glaube ich Ihnen nicht«, weiß aber, dass sie dann ewig auf mich einreden würde, also sage ich: »Ach was …«
    »Doch, doch, man konnte durch das Loch durchgucken, hören Sie, da hat Wolfgang sich nie richtig von erholt.«
    Wolfgang steht im Hintergrund und weiß nicht, was er sagen soll. Vielleicht möchte er sagen »Doch, mir geht es wieder sehr gut«, aber er weiß, dass diese Aussage sinnlos wäre, wie alles, was er aus freien Stücken in ihrer Gegenwart ausspricht. Er hebt an:
    »Na ja, ist doch schon ewig her, ich …«
    »Hören Sie, man konnte durch die Hand durchgucken, können Sie sich das vorstellen?«
    »Ja«, antworte ich diesmal brav, damit das Gespräch ein Ende nimmt. Lass mich aus, große Frau, bitte lass mich aus, du hast doch schon Wolfgang für dich, bitte lass mich aus , denke ich. Ein großes Brausen beginnt, es schwillt an und steigert sich zu einem atemberaubenden, infernalischen Lärm, ich starre der Frau ins Gesicht, während das Licht sich für einen Moment verdunkelt und sechs kleine Punkte am Himmel vorbeischießen. Kinder schreien auf, Menschen ducken sich, Wolfgang schmeißt sich zur Seite. Mir stellen sich die Nackenhaare auf, die Frau muss der Leibhaftige sein.
    »Die Schweizer sind da, die Schweizer sind da!«, schreit ein begeisterter Jugendlicher. Schon wieder nähert sich das Brausen, jetzt erkenne ich die Verursacher. Sechs Düsenjets mit dem weißen Schweizer Kreuz auf rotem Grund rasen mit Schallgeschwindigkeit über St. Pauli, sie dürften nicht höher als vielleicht hundertfünfzig Meter über uns sein. Sie drehen eine brüllende weite Kurve, nehmen eine andere Formation ein und steigen hinauf in die Wolken. Das Ganze hat etwas von einem Bomberangriff, immer wieder stürzt sich die Staffel der Patrouille Suisse auf den Innenstadtkern St. Paulis, so als hätte sie ihn nicht gründlich genug zerstört und wäre auf der Suche nach den letzten Überlebenden, jedes Mal, wenn sie wieder davonjagt, bleiben schreiende Kinder und kriegsverstörte Alte zurück. Aber ein Großteil des anwesenden Volkes ist begeistert, man hört Kommentare wie: »Sagenhaft, die Jungens können wirklich fliegen!« Oder: »Guck mal, Monika, wie schön das aussieht, wenn die nebeneinanderfliegen, mit den farbigen Strahlen hintendran!«
    Die dicke Frau möchte gerne weiter über die eingesperrte Perserkatze und das Loch in Wolfgangs Hand reden, sie merkt, dass ihr die Aufmerksamkeit entzogen wurde, und versucht sich wieder zu sammeln: »Ich finde das eine Frechheit, wenn Menschen wie Sie unschuldige Tiere in ihrem Auto zurücklassen. Tiere gehören nicht in Autos! Tiere gehören in Wohnungen, und da sollte man sich um sie kümmern und sie pflegen. Schließlich sind wir Menschen ja nur zu Gast hier auf dieser Erde.«
    Ich kann der dicken Frau nicht mehr folgen. Die Katze ist von den Düsenjägern völlig verängstigt und versucht panisch, einen Ausweg aus ihrem Gefängnis zu finden. Ich öffne die Beifahrertür und gehe vom Wagen weg. Die Katze flüchtet aus dem Fahrzeug in eine Tiefgarage.
    Die dicke Frau und Wolfgang schauen mir ratlos hinterher. Ich lasse mich mit dem Menschenstrom treiben. Ich erfahre, dass seit dem Rammstein-Unglück Tiefflugvorführungen deutscher Jets über großen Menschenmengen verboten seien, deshalb habe man sich extra die Schweizer geholt, die dürften das zum Glück hier noch. Das allgemeine Urteil fällt sehr wohlwollend aus, man unterhält sich fachkundig über die Loopings, die Farben der Kondensstreifen, die unterschiedlichen Formationen und Geschwindigkeiten, mit denen gearbeitet wird. Ein wirklich schönes Erlebnis, diese dollen Kerls von der Patrouille Suisse, konstatiert man. Ein bisschen Krieg im Frieden, Technik und Action, Show, Perfektion, Spektakel. Mir wird übel. Bei all der Gelassenheit. Bei all dem Übereinkommen. Bei all dem Nichtzweifel und der Grundzufriedenheit. Kann diese verdammte Patrouille Suisse nicht in die Türme der Mundsburg fliegen? Damit sie irgendeinen Sinn macht. Damit sie einen Nutzen hat. Da sind am Sonntag keine Menschen

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