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Tagebuch 1966-1971 (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Tagebuch 1966-1971 (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Tagebuch 1966-1971 (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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Wirtschaftslage infolge Kommunismus, Terror. Langsam weiß man's. Nichts Neues. Nur einmal halten wir den Atem an: Kennedy gibt der US-Navy den Schießbefehl, falls die sowjetischen Raketen-Transporter ihren Kurs auf Kuba fortsetzen; Chruschtschow dreht ab. Wir atmen auf. Aber Kuba gilt als Gefahr für die Welt … Ich frage mich, seit wann ich eigentlich weiß, was in Kuba geschehen ist. Nicht erst seit heute. Aber 1956, als es in Oriente mit 12 Mann begann, konnte man keine Ahnung haben; auch kaum in den drei Jahren des Guerilla-Kampfes. Ich frage mich, wovon ich an einem Tag wie heute keine Ahnung haben kann. War heute ein Datum?

Kabusch
    Kabusch ist kein Einwandrer, nicht fremdstämmig; daran kann es nicht liegen. Was nehmen sie Kabusch übel? Wenn er gelegenheitshalber eine Krawatte trägt, so ist es nicht ausgeschlossen, daß Kabusch in einer Gesellschaft johlt, die Kunst sammelt und von Löwenjagd in Afrika erzählt; plötzlich johlt er wie ein Senn. Kabusch ist Maler. Wenn von Kabusch die Rede ist, so findet sich kaum jemand, der ihm die Stange hält. Es nützt auch nichts, wenn ich mich als seinen Freund bezeichne. Es überzeugt nicht. Wer sich über Kabusch beiläufig lustig macht, tut es in der leichten Gewißheit, daß nicht widersprochen wird; Kabusch ist bekannt. Wofür? Einmal spielt er Gitarre auf einem Waschbrett und singt Nonsense dazu; man hat sich gekrümmt vor Lachen, nein, das muß man zugeben. Warum zugeben? Manche halten Kabusch für arrogant. Ist jemand dabei, der Kabusch zum erstenmal trifft und von diesem Mann eigentlich entzückt ist, zum Beispiel von seinem Temperament, von seinem uneigennützigen Interesse nach vielen Seiten, von seiner Spontaneität usw., so erfährt er auf dem Heimweg bloß, daß sein Entzücken nicht geteilt wird; es steckt auch niemand an. Eigentlich liegt gegen Kabusch nichts vor. Man kann nur nichts dafür, daß Kabusch nicht überzeugt, Kabusch als Person. Warum malt er? Dabei war Kabusch in seinem früheren Beruf sehr erfolgreich. Warum kümmert sich Kabusch immer wieder um öffentliche Angelegenheiten? Schon sein Name genügt, daß sein Einsatz vergeblich ist. Weiß er das nicht? Manchmal hat er es satt, verzieht sich nach Paris; kein Verlaß auf Kabusch, sagen sie. Immer wenn man einen Kabusch brauchen könnte, sitzt er gerade in Paris. Kommt er ins Land zurück, so finden sie, Kabusch machte sich wichtig. Kabusch ist ein Enthusiast; wenn er eine Sache verficht, so kann er wie Savonarola aussehen, dann wieder wie ein Gärtner, manchmalwie ein Uhu mit Menschenlachen. Er lebt gerne. Er ißt mäßig und trinkt nicht, Asket mit Neigung zum Übermut. Es kommt vor, daß er sagt: Wir sind Könige, wir sind Könige! Kabusch ist naiv, dabei ein Mann um 50, ohne Ironie als Selbstschutz. Was er immer ernst nimmt: die Kunst, die neuesten Erkenntnisse der Wissenschaftler. Er war begeistert vom Pariser Mai. Im Atelier, einer großen Baracke, trägt er Stiefel wie ein Erdarbeiter, die blaue Schürze eines Handwerkers; es besuchen ihn Sammler aus Chicago. Kabusch verkauft, aber auch daran kann es nicht liegen; andere verkaufen auch. Es ist nicht Neid, was Kabusch neuerdings kaltstellt; seine Erfolge in der Welt beglänzen ihn nicht, im Gegenteil, sie machen ihn eher verdächtig. Manchmal sitzt er da und zuckt die Achsel, dann wieder holt ihn sein Humor, aber er weiß, daß Kabusch irgend etwas falsch macht –
     
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    Sein Vater war Arbeiter, stämmig und immer etwas zu groß für die Demut, die einem Zeugen Jehovas ansteht, wenn er vor die Haustüren tritt und Traktate verteilt. Als er später zu Geld kam, vermachte er seinen Glaubensgenossen einen kleinen Tempel und wurde seiner frommen Ämter enthoben wegen Mangel an Demut.
     
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    Kabusch hat jemand sein Haus zur Verfügung gestellt, einem jungen Schriftsteller, der Pech hat; zum Beispiel hat er die simple Heizung nicht bedienen können, Röhren sind eingefroren, das Klosett. Das kann es ja geben. So ist er eben ausgezogen, der Pechvogel, um nicht im Haus von Kabusch zu schlottern: ohne Meldung an Kabusch, hingegen mit einerHinterlassenschaft von beträchtlichen Telefon-Rechnungen. Was macht Kabusch, als er zurückkommt? Er schlottert eine Woche lang, bis die Reparaturen erledigt sind, und spricht nicht davon. Die Anekdote hingegen, die der Beschädiger sich macht, hört man mit Vergnügen; sie ist komisch. Sie paßt zu Kabusch. Auch ein andrer, dem Kabusch einmal nach Paris verholfen hat, weil es ihm

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