Tagebuch Eines Vampirs 01. Im Zwielicht
spürte jedes Klopfen ihres Pulses.
Und schließlich, über sich selbst entsetzt, merkte er, wie er nachgab. Seine Zunge fuhr über die scharfen Zähne, er genoß den bittersüßen Schmerz, der langsam größer wurde, und fachte das Feuer noch an. Nach und nach ließ er zu, daß die Bilder kamen.
Er stellte sich vor, wie es wohl sein würde... wie er ihren weichen Nacken erst sanft mit kleinen Küssen bedeckte. Hier und da bis hinunter zu der verlockenden Grube ihres Halses. Er liebkoste sie zärtlich dort, wo er unter ihrer zarten Haut den Schlag ihres Herzens auf seinen Lippen spürte. Bis sich sein Mund endlich öffnete und seine Zähne, jetzt scharf wie kleine Dolche, sich...
Nein! Mit einem Schlag holte er sich aus seiner Trance. Sein Puls raste, und er zitterte am ganzen Körper. Die Unterrichtsstunde war zu Ende. Alle um ihn herum sprangen auf. Er konnte nur hoffen, daß ihn niemand genauer beobachtet hatte. Als sie ihn angesprochen hatte, während das Feuer noch wie wild in seinen Adern raste, prickelten seine Zähne vor ungestilltem Verlangen. Er hatte große Angst gehabt, die Beherrschung zu verlieren, sie an den Schultern zu packen und seinen speziellen Hunger nach ihr vor aller Augen zu befriedigen. Wie er schließlich entkommen war, wußte er nachher nicht mehr.
Erst als er einige Zeit später seine ganze Willenskraft in das eiserne Footballtraining gesteckt hatte, wurde ihm verschwommen bewußt, daß er seine speziellen Kräfte hier auf keinen Fall benutzen durfte. Es war im Grunde egal. Auch so war er den menschlichen Jungen überlegen, die mit ihm auf dem Footballfeld trainierten. Sein Auge war schärfer, seine Reflexe schneller, und seine Muskeln waren stärker. Plötzlich hatte er einen Klaps auf dem Rücken gespürt, und Matts Stimme klang in seinen Ohren.
„Herzlichen Glückwunsch! Willkommen im Team!“ Als Stefan in Matts offenes, ehrliches Gesicht blickte, schämte er sich sehr.
Du würdest mich nicht anlächeln, wenn du wüßtest, was ich bin, dachte er bitter. Ich habe deinen Wettbewerb durch Betrug gewonnen. Und das Mädchen, das du liebst - du liebst sie doch, oder? - ist ständig in meinen Gedanken. Auch jetzt. Und trotz aller Bemühungen an diesem Nachmittag konnte er sie nicht vergessen. Er war blindlings zum Friedhof gewandert, zu den Wäldern hingezogen von einer Kraft, die er nicht verstand.
Einmal dort, hatte er sie beobachtet, hatte sich selbst bekämpft und sein immer größer werdendes Verlangen, bis der gewaltige Ausbruch der fremden Kraft die Mädchen in die Flucht getrieben hatte. Danach war er nach Hause gegangen.
Aber erst, nachdem er sich gesättigt und dabei die Kontrolle über sich verloren hatte. Er konnte sich nicht daran erinnern, was passiert war oder wie er es geschehen lassen konnte. Die fremde Kraft hatte es angefacht, sie hatte Dinge in ihm geweckt, die besser weiter geschlafen hätten. Den Jagdtrieb, die Lust, das Wild zu verfolgen, den Geruch seiner Angst zu spüren und den wilden Triumph beim Töten der Beute. Es war Jahre, nein Jahrhunderte her, daß dieses Verlangen ihn mit solcher Macht überfallen hatte. In seinen Adern raste das Feuer. Alle Vernunft war wie ausgelöscht. Er konnte an nichts anderes mehr denken als an den heißen, metallischen Geschmack, das Pulsieren der Lebenskraft unter seinen Lippen, an Blut. Völlig aufgewühlt war er den Mädchen in ein oder zwei Schritten Entfernung gefolgt. Was hätte passieren können, wenn er nicht die Witterung des alten Mannes unter der Brücke aufgenommen hätte, daran dachte er besser nicht.
Als er das Ende der Holzplanken erreicht hatte, bebten seine Nasenflügel. Ein Mensch! Menschliches Blut. Die beste Nahrung für ihn, verboten und verlockend zugleich.
Berauschender als jeder Alkohol, der Inbegriff der Lebenskraft.
Und er war so müde, gegen sein Verlangen anzukämpfen.
Unter der Brücke lag ein Haufen Stoffetzen, in dem sich etwas bewegte. Im nächsten Moment war Stefan geschmeidig wie eine Katze daneben gelandet. Er streckte die Hand aus, schob die Lumpen zur Seite und sah in ein verwittertes, ihn anblinzelndes Gesicht über einem faltigen Nacken. Stefan entblößte die Zähne. Und dann hatte es kein Geräusch mehr gegeben als sein hastiges Trinken. Jetzt, als er die Treppe zur Pension hochstolperte, versuchte er nicht mehr daran zu denken - und auch nicht mehr an sie. An das Mädchen, das ihn mit seiner Wärme, seiner Sinnlichkeit so in Versuchung führte.
Sie war es gewesen, die er in
Weitere Kostenlose Bücher