Tagebuch Eines Vampirs 05. Rückkehr Bei Nacht
getrübt, hätten sie - wie es bei den letzten beiden Explosionen von Schmerz der Fall gewesen war - von Angst erfüllt, dass sie vielleicht ohnmächtig werden könnte. Aber nun war sie draußen auf der Straße und ihre Augen waren rein gewaschen von dem Tränenstrom und sie konnte die Fichte und den Sonnenuntergang beides direkt vor sich sehen, und sie war bei vollem Bewusstsein. Wenn sie also zusah, dass sie die untergehende Sonne genau fünfundvierzig Grad zu ihrer Rechten hatte, konnte sie das Haus der Dunstans nicht verfehlen; Einfahrt, Haus, Scheune, Maisfeld waren allesamt da, um sie zu leiten, nachdem sie vielleicht fünfundzwanzig Schritte in den Wald hinein getan hatte.
Sie war kaum zum Stillstand gekommen, als sie an dem Busch zog, der sich ihr widersetzt hatte, und während sie sich hochrappelte, riss sie sich die letzten kleinen Zweige, die sich in ihrem Haar verfangen hatten, vom Kopf.
Sie drehte sich um, sah die Schneise, die sie bei ihrem Sturz durch Büsche und Sträucher geschlagen hatte, und berechnete im Kopf die Lage des Hauses der Dunstans.
Dann blickte sie voller Verwirrung auf ihre aufgeschürften Hände; sie konnten unmöglich eine solch blutige Spur hinterlassen haben. Und das hatten sie auch nicht. Ein Knie war - durch ihre Jeans hindurch - aufgeschürft worden - eigentlich gehäutet -, und ein Bein war schwer verletzt. Es blutete zwar nicht so stark wie das Knie, sandte jedoch Wellen des Schmerzes durch ihren ganzen Körper, auch wenn sie es nicht zu bewegen versuchte. Außerdem hatte sie an beiden Armen eine Menge Haut eingebüßt.
Sie hatte keine Zeit herauszufinden, wie schwer sie verletzt war, oder sich zu überlegen, was sie mit ihrer Schulter gemacht hatte. Vor ihr kreischten Bremsen.
Gott, er ist langsam. Nein, ich bin schnell, aufgepeitscht von Schmerz und Entsetzen. Nutze das!
Sie befahl ihren Beinen, in den Wald zu rennen. Ihr rechtes Bein gehorchte, aber als sie das linke drehte und auftrat, explodierte hinter ihren Augen ein Feuerwerk.
Sie befand sich in einem Zustand extremer Wachsamkeit; sie sah den Ast, noch während sie fiel. Sie drehte sich ein- oder zweimal auf dem Boden, was in ihrem Kopf rote Blitze des Schmerzes entzündete, dann schaffte sie es, nach dem Ast zu greifen. Er hätte eigens dazu entworfen sein können, als Krücke zu dienen, denn er reichte ihr genau bis zum Unterarm und war stumpf an einem Ende, doch scharf am anderen. Schließlich klemmte sie ihn sich unter den linken Arm und zwang sich irgendwie, sich aus dem Schlamm zu hieven: Sie stieß sich mit dem rechten Bein ab und hielt sich an der Krücke fest, sodass sie mit dem linken Fuß kaum den Boden zu berühren brauchte.
Sie hatte sich bei dem Sturz in die falsche Richtung gedreht und musste dies jetzt korrigieren - aber da sah sie es: die letzten Strahlen der untergehenden Sonne und die Straße hinter ihr. Du musst in einem Fünfundvierzig-Grad-Winkel vom Strahl des Sonnenlichts weggehen, dachte sie. Gott sei Dank war es ihr rechter Arm, der verletzt war; auf diese Weise konnte sie sich mit der linken Schulter auf die Krücke stützen. Noch immer ohne einen Augenblick zu zögern, ohne Damon auch nur eine Millisekunde Zeit zu geben, ihr zu folgen, stürzte sie sich in den Wald.
KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG
Als Damon erwachte, rang er mit dem Lenkrad des Ferraris. Er befand sich auf einer schmalen Straße und führ beinahe direkt in einen prachtvollen Sonnenuntergang hinein - und die Beifahrertür war offen.
Einmal mehr ermöglichte es ihm nur die Kombination von beinahe unverzüglichen Reflexen und der perfekten Technologie des Automobils, sich von den breiten, schlammigen Gräben zu beiden Seiten der einspurigen Straße fernzuhalten. Aber er brachte das Kunststück fertig, und schließlich hatte er den Sonnenuntergang im Rücken, betrachtete die langen Schatten auf der Straße und fragte sich, was zur Hölle ihm gerade widerfahren war.
Schlief er jetzt schon am Lenkrad ein? Die Beifahrertür - warum war sie offen?
Und dann geschah etwas. Ein langer dünner Faden, der sich sachte bewegte, beinahe wie ein einzelner Gazefaden, leuchtete auf, als das rötliche Sonnenlicht ihn traf. Der Faden baumelte vom oberen Teil des Beifahrerfensters herab, das geschlossen war.
Damon machte sich erst gar nicht die Mühe, an den Straßenrand zu fahren, sondern hielt mitten auf der Straße an und ging um den Wagen herum, um sich dieses Haar anzusehen.
Wenn er es ins Licht hielt, wurde es weiß. Drehte er es
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