Tagebuch eines Vampirs 7 - Schwarze Mitternacht
nützlich sein konnten, denn sie erläuterten die
Bezeichnungen von Dingen, die man im Haus und in der
Stadt finden konnte. Als roter Faden durch diese
Geschichten dienten die Erlebnisse einer Familie von
Werwölfen, die Düz-Aht-Bhi’iens genannt wurden. Bonnie
taufte sie prompt die »Düz8s«. Die Serie bestand aus
Episoden, die zeigten, wie die Familie jeden Tag
verbrachte: wie sie auf dem Marktplatz einen neuen
Sklaven kauften als Ersatz für einen, der gestorben war,
und wo sie hingingen, um menschliche Beute zu jagen, und
wie Mers Düz8 ein wichtiges Bashik-Turnier in der Schule
bestritt.
Die letzte Geschichte für heute war beinahe schicksalhaft.
Sie zeigte die kleine Marit Düz8, wie sie zu einem
Süßigkeitenladen ging und Zuckerpflaumen kaufte. Eine
kostete genau fünf Soli. Bonnie konnte zusammen mit Marit
erleben, wie sie die Pflaume aß, und sie schmeckte gut.
Nachdem sie die Geschichte erlebt hatte, spähte Bonnie
sehr vorsichtig durch den Rand der Fensterrol läden und
sah unten auf der Straße ein Schild über jenem Laden, den
sie schon oft beobachtet hatte. Dann hielt sie sich die
Sternenkugel an die Schl?fe.
Ja! Genau die gleiche Art von Schild. Und sie wusste nicht
nur genau, was sie wol te, sondern auch, wie viel es kosten
sol te.
Sie brannte darauf, aus ihrem winzigen Zimmer
herauszukommen und auszuprobieren, was sie gerade
gelernt hatte. Aber da erloschen vor ihren Augen die
Lichter in dem Süßigkeitenladen. Es musste
Ladenschlusszeit sein.
Bonnie warf die Sternenkugel quer durch den Raum. Sie
drehte die Gaslampe auf den schwächsten Schein
herunter, warf sich dann auf ihr mit Binsen gefül tes Bett,
zog die Decke hoch … und stel te fest, dass sie nicht
schlafen konnte. Sie tastete in dem rubinfarbenen Zwielicht
umher, fand die Sternenkugel mit den Fingern und legte sie
sich erneut an die Schläfe.
Zwischen den Geschichten über die täglichen Abenteuer
der Familie Düz8 gab es auch immer wieder Märchen. Die
meisten von ihnen waren jedoch so schauerlich, dass
Bonnie sie bis jetzt nie bis ganz zum Ende durchlebt hatte –
und als es Zeit zum Schlafen wurde, hatte sie schaudernd
auf ihrer Pritsche gelegen. Aber diesmal schien es anders
zu sein. Nach dem Titel Das Torhaus der Sieben Kitsune-
Schätze hörte sie einen kleinen Vers:
Auf flachem Land von Schnee und Eis
liegt das Kitsune-Paradeis.
Verbotene Lust an nahen Nachbarorten:
Kitsune-Schätze hinter sechs weit’ren Pforten.
Das bloße Wort Kitsune war beängstigend. Aber, so
dachte Bonnie, die Geschichte könnte sich als irgendwie
nützlich erweisen.
Ich schaffe das jetzt, ging es ihr durch den Kopf, während
sie sich die Sternenkugel an die Schläfe drückte.
Die Geschichte begann al es andere als schauerlich. Sie
handelte von zwei Kitsune, einem Mädchen und einem
Jungen, die sich auf die Suche nach dem Heiligsten und
Geheimsten der »Sieben Kitsune-Schätze« machten, dem
Kitsune-Paradies. Ein Schatz, so erfuhr Bonnie, konnte
etwas so Kleines wie ein einzelner Edelstein sein oder
etwas so Großes wie eine ganze Welt. Dieser, so ging die
Geschichte, war ein Schatz mittlerer Größe, denn ein
»Paradeis« war eine Art Garten, in dem überal exotische
Blumen blühten und kleine Wasserfäl e hinunter in klare,
tiefe Teiche schäumten.
Das ist al es wunderbar, dachte Bonnie, die die Geschichte
erlebte, als verfolge sie einen Film. Aber es war ein Film,
der al e Sinne ansprach, das Fühlen, das Schmecken und
Riechen. Das Paradies erinnerte sie ein wenig an Warm
Springs, wo sie daheim manchmal Picknicke
veranstalteten.
In der Geschichte mussten die beiden Kitsune erst auf
»das Dach der Welt« gehen, wo sich eine Art Riss in der
Kruste der obersten Dunklen Dimension befand – gar nicht
weit entfernt von dort, wo sich Bonnie derzeit aufhielt.
Irgendwie gelang es den beiden von dort aus, immer weiter
hinunter zu reisen, und sie bestanden verschiedene
Prüfungen, in denen es um Mut und Verstand ging, bevor
sie in die nächst tiefere Dimension kamen, die Unterwelt.
Die Unterwelt war vol kommen anders als die Dunkle
Dimension. Sie war eine Welt aus Eis und rutschigem
Schnee, aus Gletschern und Spalten, und al es war eingeh?
l t in ein blaues Zwielicht von drei Monden, die von oben
herabschienen.
Die Kitsune-Kinder verhungerten beinahe, weil es in der
Unterwelt für einen Fuchs so wenig zu jagen gab. Sie
mussten sich mit den winzigen Tieren der Kälte
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