Tagebuch eines Vampirs 7 - Schwarze Mitternacht
Darauf waren
vermutlich japanische Schriftzeichen zu sehen, mit denen
Elena und Bonnie nichts anfangen konnten. Zwischen den
Urnen befand sich etwas Grauenvol es. Es sah aus wie ein
Kleid, verwittert, bis es fast reinweiß war, aber durch die
Löcher in diesem Kleid ragten Knochen. Das Grauenvol ste
aber war ein einziger ausgebleichter, fleischloser Knochen,
der aus dem oberen Rand einer der Urnen hing.
»Das ist es, woran Ronald gearbeitet hat, bevor der Regen
einsetzte«, erklärte Sabrina. »Es handelt sich
wahrscheinlich um den letzten Todesfal einer der
Einheimischen und es war Selbstmord.?
»Wie können Sie das wissen?«
»Mal sehen, ob ich es direkt Ronalds Notizen entnehmen
kann. Die Priesterin hier weist keine andere Verletzung auf
als die, die ihren Tod verursacht hat. Der Schrein war ein
steinernes Gebäude – früher einmal. Als wir hierherkamen,
war nur ein erhöhter Boden übrig und sämtliche Steinstufen
waren davongerol t. Daher brauchte Ronald eine Leiter. Es
wird ziemlich technisch, aber Ronald Argyl war ein
hervorragender Gerichtsmediziner und ich vertraue einer
Deutung der Geschichte.«
»Und die wäre?« Alaric nahm die Urnen und die Knochen
mit seinem Camcorder auf.
»Irgendjemand – wir wissen nicht, wer – hat in jede der
Urnen ein Loch geschlagen. Dies war, bevor das Chaos
ausbrach. Die Annalen des Dorfes verzeichnen es als
einen Akt des Vandalismus, einen Streich, den ein Kind
gespielt hat. Kurz danach wurden die Löcher versiegelt.
Die Urnen waren wieder fast luftdicht verschlossen, als wir
sie fanden, nur nicht an den Stel en, wo die Priesterin oben
ihre Hände bis zu den Handgelenken in den Urnen hatte.«
Mit unendlicher Vorsicht hob Sabrina den Deckel von der
Urne, aus der kein Knochen hing – um ein weiteres Paar
länglicher Knochen zu entblößen, die eine Spur weniger
ausgebleicht waren und Streifen aufwiesen, die einmal
Kleidung gewesen sein mussten. In der Urne lagen
außerdem winzige Fingerknochen.
»Ronald dachte, diese arme Frau sei gestorben, als sie
eine letzte verzweifelte Tat beging. Eine Tat, die aus ihrer
Perspektive sehr klug war. Sie hat sich die Handgelenke
aufgeschnitten ? Sie k?nnen sehen, dass die Sehne in
dem besser erhaltenen Arm verschrumpelt ist ?, und dann
hat sie ihren Blutstrom in die Urnen flie?en lassen. Wir
haben in den Urnen Blutreste in gro?er Menge gefunden.
Sie hat versucht, etwas hineinzulocken ? oder viel eicht
wol te sie etwas wieder hineinlocken. Sie starb bei dem
Versuch, und der Ton, von dem sie wahrscheinlich gehofft
hatte, sie würde ihn in ihren letzten bewussten
Augenblicken benutzen können, hielt ihre Knochen in den
Urnen fest.«
»Puh!« Alaric strich sich über die Stirn und schauderte.
Mach Bilder!, befahl Elena ihm im Geiste und benutzte ihre
ganze Wil enskraft, um die Anweisung zu übermitteln. Sie
konnte erkennen, dass Bonnie, die Augen geschlossen,
die Fäuste gebal t, das Gleiche tat.
Wie als Reaktion auf ihre Befehle schoss Alaric mit seinem
Camcorder so schnel er konnte Fotos.
Endlich war er fertig. Aber Elena wusste, dass er ohne
irgendeine äußere Veranlassung diese Fotos nie nach
Fel ’s Church schicken würde, bis er selbst in die Stadt
kam – und nicht einmal Meredith wusste, wann das sein
würde.
Also, was machen wir?, fragte Bonnie Elena.
Nun … meine Tränen waren real, als Stefano im
Gefängnis war.
Du willst, dass wir ihn vollheulen?
Nein, sagte Elena ein wenig ungeduldig. Aber wir sehen
aus wie Geister – benehmen wir uns auch so. Versuch,
ihm in den Nacken zu pusten.
Bonnie tat es, und sie beobachteten beide, wie Alaric
schauderte, sich umsah und seine Windjacke fester um
sich zog.
»Und was ist mit den anderen Todesfäl en in Ihrer
Expedition ?«, fragte er. Er kauerte sich zusammen und
schaute sich scheinbar ziel os um.
Sabrina begann zu sprechen, aber weder Bonnie noch
Elena hörten zu. Bonnie pustete Alaric aus verschiedenen
Richtungen an und trieb ihn zu dem einzigen Fenster in
dem Gebäude, das nicht zerschmettert war. Dort hatte
Elena mit dem Finger auf das verdunkelte kalte Glas
geschrieben. Sobald sie ahnte, dass Alaric in diese
Richtung schauen würde, blies sie auf den Satz: Schick
Meredith sofort alle Urnenfotos! Wann immer Alaric sich
dem Fenster näherte, hauchte sie es an, um die Worte
aufzufrischen.
Und endlich sah er den Satz.
Er sprang einen guten halben Meter rückwärts. Dann
schlich er langsam zum Fenster
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