Tagebuch eines Vampirs 8 - Jagd im Abendrot
»Weißt du, was Tyler getan hat, um ein Werwolf zu werden?«
Caleb sah sie argwöhnisch an. »Was er getan hat? Tyler hat gar nichts
getan. Der Familienfluch hat ihn eingeholt, das ist alles.« Sein Gesicht war
umschattet und ängstlich.
Ohne es zu wollen, schlug Stefano einen sanfteren Tonfall an. »Caleb, du
musst jemanden töten, um ein Werwolf zu werden, selbst wenn du das
Gen in dir trägst. Wenn du nicht selbst von einem Werwolf gebissen wirst,
gibt es gewisse Rituale, die vollzogen werden müssen. Blut rituale. Tyler
hat ein unschuldiges Mädchen ermordet.«
Calebs Knie schienen nachzugeben, und er glitt mit einem gedämpften
Aufprall zu Boden. Er sah aus, als sei ihm übel. »Das würde Tyler nicht
tun«, sagte er, aber seine Stimme war unsicher. »Tyler war nach dem Tod
meiner Eltern wie ein Bruder für mich. Er würde niemanden töten. Ich
glaube euch nicht.«
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»Aber er hat es getan«, bestätigte Meredith. »Tyler hat Sue Carson erm-
ordet. Wir haben ausgehandelt, dass sie ins Leben zurückkehren durfte,
aber das ändert nichts an der Tatsache, dass er sie getötet hat.«
Ihre Stimme hatte den unverkennbaren Klang der Wahrheit, und aller
Kampfgeist schien Caleb zu verlassen. Er ließ sich noch tiefer herabsinken
und bettete die Stirn auf die Knie. »Was wollt ihr von mir?«
Er wirkte so schmal und mitgenommen, und trotz der Dringlichkeit ihr-
er Mission ließ sich Stefano davon ablenken. »Warst du nicht größer?«,
fragte er. »Kräftiger? Stabiler? Ich meine, als ich dich das letzte Mal gese-
hen habe.«
Caleb murmelte etwas in seine Knie, zu gedämpft und verzerrt, als dass
selbst ein Vampir es richtig hätte hören können. »Was?«, fragte Stefano
nach.
Caleb schaute auf, und sein Gesicht war tränenverschmiert. »Es war ein
Scheinzauber, okay?«, antwortete er verbittert. »Ich habe mein Aussehen
verbessert, weil ich wollte, dass Elena mich will.« Stefano dachte an Calebs
strahlendes, gesundes Gesicht, seine Körpergröße, seinen Heiligenschein
aus goldenen Locken. Kein Wunder, dass er verdächtig gewirkt hatte; un-
terbewusst musste Stefano klar gewesen sein, wie unwahrscheinlich es
war, dass ein gewöhnlicher Mensch solche Ähnlichkeit mit einem Erzengel
hatte. Kein Wunder, dass er sich so erstaunlich leicht anfühlte, als ich ihn
quer über den Friedhof geschleudert habe, ging es Stefano durch den
Kopf.
»Du bist also ein Magiebenutzer, auch wenn du kein Werwolf bist«,
sagte Meredith schnell.
Caleb zuckte die Achseln. »Das wisst ihr doch bereits«, antwortete er.
»Ich hab gesehen, was ihr mit meiner Werkstatt im Schuppen gemacht
habt. Was wollt ihr denn noch von mir?«
Meredith trat warnend vor, ihren Stab angriffsbereit, ihr Blick klar und
mitleidlos, und Caleb zuckte vor ihr zurück. »Was wir wollen«, erklärte sie
und sprach jedes Wort sehr deutlich aus, »ist ganz einfach: Du wirst uns
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sagen, wie du das Phantom beschworen hast und wie wir es loswerden
können. Wir wollen unsere Freunde zurück.«
Caleb starrte sie an. »Ich schwöre, ich habe keine Ahnung, wovon du
redest.«
Stefano trat von der anderen Seite an Caleb heran und sorgte dafür, dass
der Blick des Jungen nervös zwischen ihm und Meredith hin und her
flackerte.
Dann hielt Stefano inne. Er konnte erkennen, dass Caleb aufrichtig ver-
wirrt war. Sagte er möglicherweise doch die Wahrheit? Stefano kniete sich
hin, sodass er mit Caleb auf Augenhöhe war, und versuchte es in einem
sanfteren Tonfall. »Caleb?«, fragte er und verausgabte die letzten Reste
seiner Macht, um den Jungen zum Reden zu zwingen. »Kannst du uns ver-
raten, was für eine Art Magie du gewirkt hast? Etwas mit den Rosen,
richtig? Was sollte der Zauber bewirken?«
Caleb schluckte, und sein Adamsapfel hüpfte in seiner Kehle. »Ich
musste herausfinden, was mit Tyler geschehen ist«, antwortete er. »Also
bin ich für den Sommer hergekommen. Niemand schien sich Sorgen zu
machen, aber ich wusste, dass Tyler nicht einfach verschwunden sein kon-
nte. Tyler hatte über euch gesprochen, über euch alle und über Elena Gil-
bert. Tyler hat dich gehasst, Stefano. Elena mochte er zuerst noch, aber
dann hat er sie ebenfalls wirklich gehasst. Als ich hierherkam, wussten
alle, dass Elena Gilbert tot war. Ihre Familie trauerte noch um sie. Und du
warst fort, Stefano; du hattest die Stadt verlassen. Ich habe versucht, mir
aus den einzelnen Informationen zusammenzureimen, was geschehen
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