Tagebuch eines Vampirs 8 - Jagd im Abendrot
ge-
heiratet. »Sicher, Schätzchen«, erwiderte sie leichthin. »Ich habe nur für
eine Sekunde vergessen, dass heute Sonntag ist.«
Jetzt, da Margaret es erwähnt hatte, konnte sie jemanden unten in der
Küche hören. Und etwas Köstliches riechen, das dort gebrutzelt wurde. Sie
schnupperte. »Ist das Schinken ?«
Margaret nickte. »Wer zuerst in der Küche ist!«
Elena lachte und streckte sich. »Gib mir eine Minute, um richtig wach
zu werden. Ich treffe dich dann unten.« Ich kann wieder mit Tante Judith
reden, begriff sie mit einem plötzlichen Glücksgefühl.
Margaret sprang auf. An der Tür hielt sie inne und drehte sich noch ein-
mal um. »Du kommst doch wirklich runter, oder?«, fragte sie zögernd.
»Ich komme wirklich«, bestätigte Elena, und Margaret lächelte und ver-
schwand im Flur.
Während Elena ihr nachschaute, wurde ihr einmal mehr bewusst, was
für eine erstaunliche zweite – nein, eigentlich dritte – Chance sie bekom-
men hatte. Für einen Moment sog Elena einfach die Essenz ihres geliebten
Zuhauses ein: Der Ort, von dem sie nie gedacht hätte, dass sie jemals
wieder dort leben würde. Sie konnte Margarets helle Stimme von unten
hören, als sie glücklich drauflosplapperte, und das dunklere Dröhnen von
Robert, der ihr antwortete. Nach allem, was geschehen war, hatte sie ein
solches Glück, endlich wieder zu Hause zu sein. Was konnte es Schöneres
geben?
Ihre Augen füllten sich mit Tränen und sie kniff sie energisch zusam-
men. Was für ein dummer Gedanke! Was es Schöneres geben konnte?
Wenn die Krähe auf ihrem Fenstersims Damon gewesen wäre, hätte sie
gewusst, dass er irgendwo da draußen war, bereit, sein strahlend-lässiges
Lächeln aufblitzen zu lassen – oder auch sie ganz bewusst zu ärgern. Also,
das wäre noch schöner gewesen.
Elena öffnete die Augen und blinzelte einige Male heftig, um die Tränen
zu vertreiben. Sie durfte nicht zusammenbrechen. Nicht jetzt. Nicht kurz
bevor sie ihre Familie wiedersah. Jetzt würde sie lächeln und lachen und
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alle umarmen. Später konnte sie dann immer noch zusammenbrechen und
sich dem scharfen Schmerz in ihr ergeben und sich erlauben zu
schluchzen. Schließlich hatte sie alle Zeit der Welt, um Damon zu be-
trauern. Denn sein Verlust würde nie, niemals aufhören wehzutun.
Kapitel Drei
Die helle Morgensonne schien auf die lange, gewundene Einfahrt, die zur
Garage hinter der Pension führte. Weiße Wolkenfetzen huschten über den
hellblauen Himmel. Es war eine so friedliche Szene, die den Gedanken un-
möglich machte, dass an diesem Ort jemals etwas Schlimmes passiert sein
sollte.
Als ich das letzte Mal hier war, dachte Stefano, während er seine
Sonnenbrille aufsetzte, war es eine Trümmerwüste.
Die Kitsune hatten Fell’s Church in ein Schlachtfeld verwandelt. Kinder
hatten ihre Eltern bedroht, junge Mädchen hatten sich selbst verstümmelt
und die Stadt war in Chaos versunken. Blut auf den Straßen, überall Sch-
merz und Leid.
Da öffnete sich hinter ihm die Haustür. Als Stefano sich umdrehte, sah
er Mrs Flowers herauskommen. Die alte Dame trug ein langes schwarzes
Kleid, und ihre Augen wurden von einem Strohhut beschirmt, der mit
künstlichen Blumen übersät war. Sie sah müde und ausgezehrt aus, aber
ihr Lächeln war so sanft wie immer.
»Stefano«, sagte sie. »Die Welt ist hier heute Morgen genauso, wie sie
sein sollte.« Mrs Flowers trat näher und schaute ihm ins Gesicht, und ihre
scharfen blauen Augen waren voller Mitgefühl. Sie sah aus, als wolle sie
ihn etwas fragen, schien im letzten Moment jedoch ihre Meinung zu
ändern und erklärte stattdessen: »Meredith hat angerufen und Matt eben-
falls. Es ist wirklich ein Wunder, dass wir alle diese Strapazen überlebt
haben.« Sie zögerte, dann drückte sie ihm den Arm.
»Fast alle.«
In Stefanos Brust krampfte sich etwas schmerzhaft zusammen. Er wollte
nicht über Damon reden. Er konnte es nicht, noch nicht. Stattdessen sen-
kte er den Kopf. »Wir stehen tief in Ihrer Schuld, Mrs Flowers«, sagte er
und wählte seine Worte sorgfältig. »Ohne Sie hätten wir die Kitsune
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niemals besiegen können – Sie waren diejenige, die sie in Schach gehalten
und die Stadt verteidigt hat. Keiner von uns wird das je vergessen.«
Mrs Flowers’ Lächeln vertiefte sich, und ein unerwartetes Grübchen
tauchte in einer ihrer Wangen auf. »Vielen Dank, Stefano«, sagte sie auf
die gleiche förmliche Weise. »Es gibt
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