Tagebuch eines Vampirs 8 - Jagd im Abendrot
haben im Krankenhaus angerufen, um
uns nach Caleb zu erkundigen, während du fort warst«, sagte sie
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bedächtig. Sie wusste, welche Wirkung ihre Worte haben würden. »Er ist
entlassen worden.«
Stefanos Augen blitzten geradezu mörderisch auf. »Ich denke«, be-
merkte er, und seine Stimme war messerscharf, »dass wir Caleb einen Be-
such abstatten sollten.«
Elena schwebte in Dunkelheit. Aber sie hatte keine Angst. Es war, als
treibe sie langsam unter warmem Wasser, wo sie sich sanft in der
Strömung wiegte. Ein Teil von ihr fragte sich ohne Furcht, ob es möglich
sein konnte, dass sie aus den Fluten in Hot Springs niemals aufgetaucht
war.
Dann beschleunigte sie plötzlich, stieß nach oben und öffnete die Augen
in strahlendem Tageslicht. Sie sog zittrig die Luft ein.
Seelenvolle, besorgte, dunkelbraune Augen schauten aus einem Gesicht,
das über ihr hing, auf sie herab.
»Bonnie?«, stieß Elena hervor.
»Elena! Gott sei Dank«, rief Bonnie und umfasste ihre Arme mit einem
schraubstockähnlichen Griff. »Ich war tagelang ganz allein hier. Jedenfalls
hat es sich wie Tage angefühlt, weil das Licht sich niemals verändert und
ich die Zeit nicht anhand der Sonne feststellen kann. Und es gibt hier
nichts zu tun. Ich kann nicht herausfinden, wie ich hier wegkomme, und es
gibt nichts zu essen, obwohl ich seltsamerweise auch keinen Hunger habe,
also schätze ich, es spielt keine Rolle. Ich habe versucht zu schlafen, um
die Zeit totzuschlagen, aber ich bin hier auch nicht müde geworden. Und
plötzlich warst du hier, und ich war so glücklich dich zu sehen, aber du
wolltest nicht aufwachen, und ich habe angefangen, mir wirkliche Sorgen
zu machen. Was ist los ?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Elena benommen. »Das Letzte, woran
ich mich erinnern kann, ist eine Bank, auf der ich gesessen habe. Ich den-
ke, ich bin von einer Art mystischem Nebel gefangen worden.«
»Ich auch!«, rief Bonnie aus. »Ich meine nicht die Sache mit der Bank,
sondern die Sache mit dem Nebel. Ich war in meinem Zimmer in der
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Pension, und dieser unheimliche Nebel hat mich gefangen.« Sie schaud-
erte theatralisch. »Ich konnte mich überhaupt nicht mehr bewegen. Und
ich habe so furchtbar gefroren.« Plötzlich weiteten ihre Augen sich schuld-
bewusst. »Ich habe gerade einen Zauber gewirkt, als es geschah, und etwas
tauchte hinter mir auf und hat Dinge gesagt. Gemeine Dinge.«
Elena erbebte. »Ich habe auch eine Stimme gehört.«
»Denkst du, ich … habe etwas entfesselt? Als ich den Zauber gewirkt
habe? Ich mache mir Sorgen, dass ich das versehentlich getan haben
könnte.«
Bonnies Gesicht war weiß.
»Es war nicht deine Schuld«, versicherte Elena ihr. »Wir denken, es ist
ein Phantom – das Ding, das die Unfälle verursacht hat und deinen Geist
gestohlen hat, damit es deine Macht für sich selbst nutzen kann. Und jetzt
hat es auch mich geholt, schätze ich.«
Sie erzählte Bonnie schnell alles über das Phantom, dann stützte sie sich
auf die Ellbogen und sah sich zum ersten Mal richtig um. »Ich kann nicht
glauben, dass wir wieder hier sind.«
»Wo?«, fragte Bonnie ängstlich. »Wo sind wir?«
Es war Mittag, und ein sonnenheller blauer Himmel erstreckte sich über
ihnen. Aber Elena war sich ziemlich sicher, dass hier immer Mittag war:
Bei ihrem letzten Besuch hier war ebenfalls Mittag gewesen. Sie befanden
sich auf einem breiten, langen Feld, das sich bis in alle Ewigkeit zu er-
strecken schien. So weit Elena sehen konnte, wuchsen darauf hohe Büsche
– Rosenbüsche mit perfekten, samtschwarzen Blüten.
Mitternachtsrosen. Rosen, die gezüchtet wurden, um Zauber aufzuneh-
men, welche nur die Kitsune an diese Rosen binden konnten. Rosen mit
starker Magie. Stefano hatte einmal eine solche Rose von einem Kitsune
geschenkt bekommen, mit einem Zauber, der ihn menschlich machen soll-
te. Aber dann hatte Damon diese Blume versehentlich benutzt – zum Ent-
setzen beider Brüder.
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»Wir sind auf dem magischen Rosenfeld der Kitsune, auf jenem Feld,
auf das man durch das Torhaus der Sieben Schätze gelangt«, erklärte sie
Bonnie.
»Oh«, sagte Bonnie. Sie dachte einen Moment lang nach, dann fragte sie
hilflos: »Was tun wir hier? Ist das Phantom ein Kitsune?«
»Das glaube ich nicht«, antwortete Elena. »Vielleicht ist es einfach ein
bequemer Ort, um uns hier zu verstauen.«
Elena holte tief Luft. In einer Krise wie dieser tat Bonnies Gegenwart
gut.
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